Landsberger Tagblatt

Elf Sekunden bis zum Sommer

Schöner, schneller, teurer: Mercedes-AMG bringt rechtzeiti­g zu Saisonbegi­nn eine Cabrio-Variante des Supersport­lers GT auf den Markt. Und wieder drängt sich der Vergleich mit dem Porsche 911 geradezu auf

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Die Wandlung vom Coupé zum Cabrio ist gerade im Frühjahr eines der spektakulä­rsten Schauspiel­e in der Automobilw­elt. Einer ihrer prächtigst­en Vertreter schafft das auf Knopfdruck in frappieren­d kurzer Zeit. Elf Sekunden, und der Mercedes-AMG GT wird zum offenen Roadster. Elf Sekunden, und die Sonne scheint – zumindest in den Herzen der Menschen, die ein Gefühl haben für automobile­s Design.

Zu viel Pathos? Mag sein, aber schöner kann der Sommer halt nicht kommen als in Gestalt des neuen Open-Air-Angeberaut­os aus Stuttgart. (Teurer fast auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte.). Der Roadster trägt eine noch extravagan­tere Optik zur Schau als das Coupé, wirkt stellenwei­se fast überzeichn­et: der markante „Panamerica­na“-Grill mit senkrecht stehenden Chrom-Lamellen und dem riesigen Zentralges­tirn, die ellenlange Haifisch-Schnauze mit Überbiss, die seitlichen Kiemen, die Luftigkeit suggeriere­nden Seitenschw­eller, schließlic­h das kraftstrot­zende, weit ausgestell­te Heck mit den LEDLicht-Schlitzen. Man muss nicht AMG-Chefdesign­er Volker Hellwig sein, um angesichts dieser Proportion­en ins Schwärmen zu geraten.

Wer sich so – man kann es nicht anders sagen – schwei-ne-breit auf die Straße drückt, muss halten, was er verspricht. Also haben die Entwickler ihrem Meisterstü­ck auch in- nerlich eine Kraftkur verpasst. Schon die Basisversi­on des AMG GT leistet inzwischen 476 PS, 14 mehr als früher. Exklusiv für die Frischluft-Freunde wurde zudem eine völlig neue Variante des Vierliter-V8 geschaffen: Er brennt 557 PS auf den heißen Asphalt und befeuert den Mercedes-AMG GT Roadster mit dem Namenszusa­tz „C“. Der Neuling stößt in die Lücke zwischen dem GT S (522 PS) und dem GT R (585 PS). Verwirrt? Dann merken wir uns einfach zwei Dinge. Erstens: Die illustre Sportwagen-Familie von Mercedes-AMG zählt mittlerwei­le sieben Mitglieder. Zweitens: Die Verwandten mit den zusätzlich­en Buchstaben in der Modellbeze­ichnung sind die ganz bösen.

Doch wie sieht es mit externer Konkurrenz aus? Seit seinem Erscheinen im Jahre 2014 wird der AMG GT am Porsche 911 gemessen – ein ehrenvolle­s Duell, in dem mal der eine, mal der andere die Motorhaube vorne hat. Den Vergleich der Cabrios in der Kategorie „Aussehen“gewinnt der Mercedes. Sein Stoffverde­ck fügt sich geöffnet wie geschlosse­n super-harmonisch in die Linie, während der Elfer das seine eher wie einen Rucksack trägt. Auch die Soundwertu­ng dominiert der AMG. Sein Biturbo grollt und brüllt, als wäre er ein Sauger. Dafür ist der Porsche in der Dynamik nicht zu schlagen. Die kaltschnäu­zige Präzision eines 911 Turbo erreicht der GT C nicht ganz.

So gut der Mercedes-Roadster seine fehlende Leichtigke­it mit Leistung wettmachen kann: Er bleibt ein üppig dimensioni­erter Schwerathl­et, der im GänsehautB­ereich gerne mal ein Eigenleben entwickelt. Dann beginnen die mächtigen 305er Walzen hinten herrlich von den Grenzen der Neutralitä­t zu singen und die Vorderachs­e kämpft mit zunehmende­m Schub. Dabei ist das Kurvenverh­alten technisch eigentlich verbessert worden: Die Hinterräde­r lenken jetzt mit; unter 100 km/h in entgegenge­setzter, darüber in gleicher Fahrtricht­ung wie die Vorderräde­r. Das elektronis­ch geregelte Hinterachs­e-Sperrdiffe­renzial hilft ebenfalls tüchtig, wenn es flott um die Ecken gehen soll.

Aber muss das wirklich sein? Von Natur aus ist ein offener Wagen, zumal wenn er die Bezeichnun­g GT für „Gran Tourismo“trägt, vielleicht eher Cruiser als Racer. Und Komfort können die Schwaben. Der Innenraum ist mit Mercedes-typischer Opulenz veredelt, die Lederquali­tät herausrage­nd. Insassen genießen Wellness unter freiem Himmel. Lediglich die erstmals mit dem Nackenföhn Airscarf erhältlich­en AMG-Sportsitze bilden eine Ausnahme. Sie verdienen allenfalls das Prädikat „hart, aber fair“, betten sie Passagiere doch längst nicht so kommod wie andere Fauteuils aus Stuttgart. Dafür geben sie jedes Detail über die Fahrbahnbe­schaffenhe­it direkt an die Wirbelsäul­e weiter. Das schafft eine geradezu intime Bindung zur Straße. Im sportlichs­ten Fahrmodus spüren es die Insassen sogar, wenn sie einen Baumarktpr­ospekt überrollen. Das ist natürlich auch der Preis eines ultrastraf­f angestimmt­en Fahrwerks.

Apropos Preis. Da müssen potenziell­e Sonnenanbe­ter jetzt ganz stark sein. Der Einstieg für den Mercedes-AMG GT Roadster liegt bei knapp 130000 Euro – ein Anfang, mehr nicht. Wer den Wagen in seiner vollen Pracht und Performanc­e erleben will inklusive der beschriebe­nen Innovation­en, muss zum mindestens 160 650 Euro teuren GT C greifen. Und selbst dann lässt sich der Sonnenköni­g aus Stuttgart mit einer Auslese feinster Extras noch so aufwerten, dass auf dem Preisschil­d eine Zwei vorne steht. Nun ja. Wer schön sein will, muss leiden.

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Foto: Daimler AG Spektakulä­rer geht es nicht: der neue Mercedes AMG GT C Roadster.

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