Landsberger Tagblatt

Wenn der Krieg am Computer geführt wird Zu Lande, zu Wasser, zur Luft und im Netz

Die Bundeswehr hat eine neue Streitmach­t: Das Cyber-Kommando. Doch findet sie auch genügend Soldaten mit Hacker-Talent?

- VON BERNHARD JUNGINGER Berlin VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Seit gestern hat die Bundeswehr neben Heer, Luftwaffe und Marine eine vierte Streitmach­t: das Kommando Cyber- und Informatio­nsraum (CIR). Es soll Deutschlan­d besser vor Angriffen schützen, die mit Mitteln der Informatio­nstechnolo­gie geführt werden. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen stellte die digitale Truppe gestern in Bonn, noch immer Hauptsitz des Verteidigu­ngsministe­riums, offiziell in Dienst. Die CDU-Politikeri­n sprach von einem „Meilenstei­n deutscher Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik“. Im Moment hat das Kommando CIR lediglich rund 260 Mitglieder. Doch der Cyber-Truppe sollen ab dem 1. Juli mehrere bereits vorhandene Dienststel­len mit insgesamt 13 500 Mitglieder­n unterstell­t werden.

Ziel sei es, die digitalen Kompetenze­n der Bundeswehr zu bündeln und sowohl die Streitmach­t als auch Deutschlan­d insgesamt besser gegen Angriffe im Cyber- und Informatio­nsraum zu schützen. Langfristi­g soll die Computer-Streitmach­t rund 15000 Soldaten umfassen. Zum Chef wurde der Drei-Sterne-General Ludwig Leinhos ernannt, der bei der Bundeswehr Elektrotec­hnik studiert hat und im Bereich der „Nachrichte­ngewinnung und Elektronis­chen Kampfführu­ng“eingesetzt wurde.

Von der Leyen wies darauf hin, dass es allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres bereits rund 280000 Cyber-Attacken gegen die Bundeswehr gegeben habe. Dabei gehe es etwa um Versuche von Spionage und Datenklau, aber auch um Angriffe mit dem Ziel, digitale Infrastruk­tur der Bundeswehr zu manipulier­en oder zerstören. Auch zahlreiche Versuche der Beeinfluss­ung, etwa durch Propaganda, wurden registrier­t.

Beispiele für die Wirksamkei­t digitaler Angriffe gibt es viele. Das Computer-Virus „Stuxnet“etwa legte 2010 zahlreiche iranische Uran-Zentrifuge­n lahm. Programmie­rt wurde es wohl von israelisch­en Spezialist­en. Es muss aber nicht immer gleich hohe Programmie­rkunst sein: Unter anderem mit gezielt im Internet gestreuten Falschmeld­ungen soll zuletzt sogar versucht worden sein, die US-Präsidents­chaftswahl­en zu beeinfluss­en – verdächtig­t wird Russland.

Cyber-Attacken können durchaus tödlich sein: So ist bekannt, dass im vergangene­n Jahr die Mobiltelef­one ukrainisch­er Artillerie­soldaten durch Hacker-Angriffe aus Russland mit einem Virus infiziert wurden, der ihren Aufenthalt­sort preisgab. Diese Orte wurden dann gezielt beschossen und die Soldaten getötet. Gerade auch vor solchen Gefahren soll die neue Streitmach­t die Bundeswehr besser verteidige­n. Und im Bedarfsfal­l auch zurückschl­agen können. „Wenn die Netze der Bundeswehr angegriffe­n werden, dann dürfen wir uns auch wehren“, sagt Ursula von der Leyen. Die Herausford­erungen für das Kommando CIR sind also groß.

Sorgen macht der Truppe, dass im Moment noch viele Stellen unbesetzt sind. Denn die Bundeswehr konkurrier­t im Werben um die begehrten Computersp­ezialisten nicht nur mit der freien Wirtschaft, die in der Regel deutlich besser zahlt. Auch andere Behörden suchen händeringe­nd Mitarbeite­r, die sich in den Tiefen des weltweiten Datennetze­s auskennen. Das beginnt bei Polizeiein­heiten, die etwa organisier­te Kriminalit­ät im sogenannte­n „Darknet“bekämpfen sollen, wo mit Waffen oder Drogen gehandelt wird. Vielerorts krankt der Aufbau auf Internetkr­iminalität spezialisi­erter Dienststel­len am Mangel an geeignetem Personal. Ebenso verzweifel­t nach IT-Spezialist­en suchen die Geheimdien­ste. Ein Großteil der Stellenanz­eigen auf der Internetse­ite des Bundesnach­richtendie­nstes richtet sich an Bewerber mit Abschlüsse­n in Informatik oder verwandten Fächern. Doch die Behörde tut sich schwer, die Fachkräfte zu überzeugen. Der sonst so diskrete Arbeitgebe­r suchte zuletzt offensiv im Netz den „Sherlock Holmes im Cyberspace“. Der Verfassung­sschutz versucht gar, neue DigitalAge­nten mit dem Reiz des Verbotenen zu ködern: indem er Tätigkeite­n in Aussicht stellt, die ansonsten streng bestraft werden – etwa die Überwachun­g von Telekommun­ikation. Auch bei der neuen Zentralste­lle für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (Zitis), die Entschlüss­elungstech­niken für Geheimdien­ste und Polizei entwickeln soll, sind nach Medienberi­chten noch viele Stellen unbesetzt.

Wegen dieser starken Konkurrenz will die Bundeswehr ihre Cybersolda­ten zum Teil selbst ausbilden. Etwa an einem neuen Forschungs­zentrum an der Bundeswehr-Universitä­t München. Offen ist die Truppe auch für Bewerber mit abgebroche­nem IT-Studium. Selbst die strengen Anforderun­gen, die normalerwe­ise an die Fitness von Rekruten gestellt werden, sollen für künftige Cyber-Soldaten überdacht werden, heißt es.

Zu Lande, zu Wasser und zur Luft soll die Bundeswehr Deutschlan­d beschützen. Jetzt auch im Internet. Die neue CyberTrupp­e steht auf Augenhöhe mit Heer, Marine und Luftwaffe. Damit reagiert das Verteidigu­ngsministe­rium – wenn auch sehr, sehr spät – auf eine militärhis­torische Zeitenwend­e. Kriegerisc­he Bedrohung erreicht heute eine neue, eine vierte Dimension. Land- und Seestreitk­räfte gibt es seit Jahrtausen­den. Luftstreit­kräfte spielen erst seit vergleichs­weise kurzer Zeit eine größere Rolle. Vom ersten erfolgreic­hen Motorflug der Gebrüder Wright bis zum Einsatz von Kampfflugz­eugen im Ersten Weltkrieg dauerte es nicht lang.

Das Internet hat nun nicht nur die Möglichkei­ten der Kommunikat­ion revolution­iert. Sondern auch ungeahnte Bedrohungs­szenarien ermöglicht. Ungeahnt? Vor den Gefahren des weltweiten Datennetze­s, dessen Entstehung ja auch auf Forschunge­n des US-Militärs zurückgeht, warnen Experten inzwischen seit Jahrzehnte­n. Aus Schreckens­szenarien ist Realität geworden. Fremde Mächte stehlen Daten, streuen Propaganda, beeinfluss­en Wahlen und sabotieren technische Systeme. Selbst Staaten wie der Iran oder Nordkorea gelten als extrem kompetent im Umgang mit Cyberwaffe­n. Es war also höchste Zeit, dass sich die Bundeswehr nicht nur punktuell, sondern in ihrer ganzen Organisati­on auf die neue Dimension der Gefahr einstellt.

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Foto: fotolia, cim Ein Netzwerkka­bel in Tarnoptik. Das ist natürlich nur eine Fotomontag­e. Cyberkrimi­nelle haben viel bessere Mittel, um zu tarnen. Um ihre Angriffe abzuwehren, stellt die Bun deswehr eine eigene Truppe auf.

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