Pillen für Demente in der Kritik
Studie rügt Einsatz von Psychopharmaka
Ein Teil der rund 800000 Pflegeheimbewohner in Deutschland erhält offenbar zu viele und für diesen Zweck nicht zugelassene Psychopharmaka. Besonders betroffen seien die rund 500000 Demenzkranken, berichtete die Krankenkasse AOK gestern in Berlin. Sie beruft sich auf eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie der Wuppertaler Pharmakologin Petra Thürmann, deren Ergebnisse im AOK-Pflege-Report 2017 enthalten sind.
Laut AOK erhalten rund 40 Prozent der Bewohner mit Demenz dauerhaft mindestens ein Mittel zur Ruhigstellung (Neuroleptikum). „Der breite und dauerhafte Neuroleptika-Einsatz bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz verstößt gegen die Leitlinien“, kritisierte Thürmann. Neuroleptika seien zur Behandlung von krankhaften Wahnvorstellungen, sogenannten Psychosen, entwickelt worden. In der Folge könnten aber Nebenwirkungen wie Stürze, Schlaganfälle und Thrombosen auftreten.
2500 Pflegekräfte waren befragt worden. Sie gaben an, dass im Durchschnitt bei mehr als der Hälfte der Bewohner ihres Pflegeheims Psychopharmaka eingesetzt werden. Zwei Drittel der Betroffenen erhielten die Verordnungen sogar länger als ein Jahr – obwohl sie bei Demenzen gar nicht so lange gegeben werden sollten. Trotzdem hielten 82 Prozent der Pflegekräfte den Einsatz auch für angemessen. Der Vorstandsvorsitzende des AOKBundesverbandes, Martin Litsch, sah den kritischen Umgang mit Psychopharmaka als gemeinsame Aufgabe von Ärzten, Heimbetreibern und Pflegekräften. Der geschäftsführende Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte Ärzte für „unverantwortliche und nicht fachgerechte Verschreibungen“von Neuroleptika.