Kasperl chaotisch
Doctor Döblingers Kasperltheater ist manchmal gar nicht so geschmackvoll. Aber frech und hintersinnig
Es ist alles vorhanden, was zu einem Kasperltheater gehört, Kasperl, Seppel, Großmutter, Gretel, Krokodil, Hexe, Zauberer und Polizist. Und doch ist diesmal alles anders: „Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater“gastierte mit seinem Erwachsenen-Programm im Landsberger Stadttheater vor voll besetztem Parkett.
„Tri, tra, trallala“, und wie geht nach der Wiederholung die dritte Zeile? Der Kobold mit dem roten Haar? Der weiße Nebel wunderbar? Falsch! Nur noch wenige wissen im Zeitalter von Fernsehen, Internet, Sozialen Netzwerken und Kino, dass es heißen muss: Der Kasperle ist wieder da! Doch dieses Publikum ist eingeweiht in die Rituale des Kasperltheaters und bestätigt vehement, dass auch alle da sind. Die Frage „Wollt ihr den totalen Kasperl?“deutet dann schon an, dass es bei dieser Vorstellung weder Tabus noch Political Correctness geben wird, weder Regeln noch Respekt.
Mit dem Besuch eines bedrohlich grün aussehenden „Neffen“bei der Großmutter entspinnt sich ein düsteres Verhängnis, ein Weltenkampf zwischen Gut und Böse, sprich, Großmutter und Zauberer. Die Handlung ist herrlich absurd, und doch altbekannt, weil man ja Ähnliches schon vom Kasperltheater aus Kindervorstellungen kennt. Nur ein bissl anders. Ohne Bedenken skandieren Kasperl und Seppl (eigentlich rassistisch) „Rothaarige und Grüne, runter von der Bühne!“Es tritt ein Pfarrer auf, und er trägt statt eines Kopfes einen Arsch mit Ohren über dem Kollar. Das ist in Bayern schon etwas gewagt. Doch der Pfarrer ist harmlos-hilflos, der Böse, das ist der Zauberer Gottlieb Wurst. Der bläst der diskussionsfreudigen Gretel, die ihre Reden stets mit „irgendwie“einleitet und mit „und so“abebben lässt, kurzerhand das Hirn heraus und macht sie sich zur gefügigen Dienerin.
Nun sprengen die Puppenspieler Josef Parzefall und Richard Oehmann vollends die Grenzen des Geschmacks, wenn Gretel, sich dem Zauberer unterwerfend, sagt: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn …“und der Zauberer noch eins draufsetzt: „Und das Wort ist Wurst geworden.“Doch nicht nur die Kirche kriegt ihr Fett ab: Frech, chaotisch und respektlos geht es weiter: Auf gleichmäßige Verwendung von weiblichen wie männlichen Begriffen wird gepfiffen, und dann gehen auch noch alle Lichter aus, und das Publikum wird mit dem Nichts konfrontiert: „Jetzt war’ ma wo, da war gar nichts, des war wie in Weilheim.“
Die Figuren diskutieren, frei im Raum schwebend, wie es nun weitergehen soll, die Köpfe der Puppenspieler tauchen auf und wollen auch mitreden, aber die Figuren spielen da nicht mit. Da finden Kasperl und Seppel die Schnur, mit der man eine Kulisse herunterlässt, Erlösung aus dem Nichts, und ein Polizist samt hyperaktivem Spürhund („Schnupperpraktikant“) findet die in eine Breze verwandelte Hexe. Für Belustigung sorgen dann noch Schoko und das süße Teilchen aus Berlin, zwei Gebäckteile wie aus der Muppetshow, die rappend die berüchtigte Wald-Disco „Magic Club“aufsuchen.
Als sich gegen Ende die Handlung schürzt und bereits vier Puppen auf der Bühne sind, wird ein Zuschauer nach vorne geholt, der die Rolle des Polizisten übernimmt und endlich für Ordnung sorgt. Nun ist alles wieder gut – aber die Erwachsenen sind sicher enttäuscht, weil es zu wenig „Erwachsenenszenen“gab? Na dann ziehen sich jetzt eben alle Figuren hinter die Kulisse zur Orgie zurück.
Ein freches, lustiges, hintersinniges Kasperltheater war das. Geschmack und Regeln gibt’s woanders wieder.