Ach, Kinder!
Die Deutschen bekommen wieder mehr Nachwuchs. Für die werdenden Eltern bedeutet das in der Regel großes Glück, jede Menge Aufregung – und einen echten Einkaufsmarathon. Weil man doch so viel braucht für ein Baby. Und das kann ganz schön teuer werden
Gersthofen/Rain Bianca und Jan Klein haben sich eine halbe Stunde lang angehört, worauf es bei einer Wippe ankommt. Und warum „Tripp Trapp“so etwas wie das Nonplusultra unter den Hochstühlen ist. Jetzt, nach einer weiteren halben Stunde in der KinderwagenAbteilung, beugt sich die Frau mit den langen, blonden Haaren zu ihrem Mann, legt die Arme um ihn und gibt ihm einen Kuss. „Wir haben einen Kinderwagen gefunden – endlich“, erzählt sie und zeigt auf das Modell, das ein paar Meter weiter auf einem Regal thront. Joolz Day 2 in Camel Beige, Kostenpunkt 949 Euro. „Später hätten wir aber nicht dran sein dürfen“, sagt Bianca Klein, unter deren Strickjacke sich ein kleiner Babybauch abzeichnet. Anfang August erwartet das Ehepaar aus München sein erstes Kind. Und der Kinderwagen, der hat schon mal zwölf Wochen Lieferzeit.
Aber wenn es nur das wäre. Es braucht ja so viel mehr, wird man zum ersten Mal Eltern. Zumindest, wenn es nach der Baby-Checkliste geht, die die Kleins hier, in der Baby-Welt in Gersthofen, bekommen haben. Zwei eng bedruckte DINA4-Seiten mit allem, was aus Sicht der Industrie nötig ist – vom Beistellbett bis zur Wickelkommode, vom Babykostwärmer bis zum Windeleimer. „Das ist ganz schön viel“, sagt die werdende Mutter und atmet hörbar aus. Weil sie und ihr Mann zwar die Möbel für das Kinderzimmer schon gekauft haben und gerade eben den Kinderwagen, weil sie die Babyschale und andere Sachen von Freunden geliehen bekommen, aber eben noch so viel zu besorgen bleibt. Wippe, Spieluhr, Bodys, Spucktücher. „Da fällt mir ein“, sagt Bianca Klein und packt ihren Mann an der Hand, „wir müssen unbedingt noch nach einem Schlafsack schauen.“
Was das alles kostet? Das Ehepaar schaut sich einen Moment lang fragend an. Bislang haben sie nicht nachgerechnet. Warum auch? Das erste Kind, das bedeutet für die meisten großes Glück, jede Menge Aufregung, ein Abenteuer allemal – und wenn man nicht muss, schaut man auch nicht auf jeden Euro.
Aber Kinder kosten Geld. Manche sagen sogar, sie sind ein teures Vergnügen. Wie teuer, ist schwer zu sagen, weil es allenfalls Modellrechnungen gibt. Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass Eltern, die ein Kind haben, dafür im Schnitt 584 Euro monatlich ausgeben. Je älter es wird, desto höher sind die Kosten. Rechnet man die hoch, kommt man auf 131256 Euro, die Eltern durchschnittlich in ihren Spross investieren, bis er volljährig ist. Tatsächlich dürfte es mehr sein. Schon, weil die Datengrundlage der Statistik neun Jahre alt ist.
Katja Schröffer hat Ida, eindrei- in den Kindersitz geschnallt. Dann verstaut sie das, was sie an diesem Nachmittag ergattert hat, im Kofferraum. Ein T-Shirt mit Blümchenmuster, mintgrüne Ballerinas, einen Sonnenhut, ein Kleidchen und eine Bluse mit angenähtem Tüllrock. 20 Euro hat sie hier, beim Basar in Rain am Lech, ausgegeben – und vielleicht noch einmal so viel auf ihrer Station davor, in Thierhaupten bei Augsburg. „Ich kaufe viel auf dem Flohmarkt. Da kriegt man wunderschöne Sachen“, sagt die junge Frau. Kleidung, Spielzeug, auch der Kinderwagen für die Tochter waren gebraucht. Sie sagt, dass man am Anfang ohnehin so viel geschenkt bekomme. Oder sich viel leihen könne. Dann muss Katja Schröffer sich beeilen, auf dem Rücksitz quengelt Ida immer lauter. „Wenn die Kinder noch so klein sind“, sagt die Mutter noch, „brauchen sie doch nicht alles neu.“
Drinnen, in der Mehrzweckhalle in Rain, verkaufen Eltern das, was ihre Kleinen nicht mehr brauchen. Zwei Bodys für 50 Cent, ein Fläschchen für 2,50 Euro. Oder die Hausschuhe, die der Sohn gerade einmal vier Wochen getragen hat, bis sie zu klein waren. Michaela Göbel stapelt Kinderkleidung in Plastikboxen. T-Shirts in Rosa, kurze Hosen in Hellblau – all das, was an diesem Nachmittag keinen Käufer gefunden hat. Die junge Frau aus Rain ist trotzdem zufrieden. Sie ist das Reisebett losgeworden, in das die Tochter nicht mehr passt, den Hochstuhl und die Wippe. Und hat sogar noch ein paar Euro eingenommen. Wie viel sie jeden Monat ausgibt für Kleidung, Spielsachen und alles andere, was die beiden Kinder, drei und sechs Jahre alt, brauchen? Die Mutter denkt kurz nach, schüttelt dann den Kopf. „Auf jeden Fall zu viel“, wirft ihr Mann ein und lacht.
231 Euro sind es laut Statistiviertel, schem Bundesamt, die Eltern im Monat für die Grundversorgung der Kleinen aufwenden, also für Essen, Trinken und Kleidung. Der Spielwarenhandelsverband BVS wiederum hat errechnet, dass die Ausgaben für Strampler, Kuscheltiere und Schnuller in den ersten drei Lebensjahren jeweils bei 1122 Euro liegen. Und dann geht es ja weiter: Mit der Frage, wie teuer die Windeln sind, welche Babymilch es sein darf, ob Bio-Gläschen oder Selbstgekochtes, mit Babyschwimmen und Babymassagen. Und vielleicht noch Kinderbetreuung, Spielsachen, Geschenke...
Mit am teuersten aber ist der Nachwuchs wohl, wenn er noch gar nicht auf der Welt ist: Eine Erstausstattung mit Kinderwagen, Bettchen, Wickeltisch, Fläschchen, Strampler und allem anderen war jungen Eltern im Jahr 2013 im Schnitt 2976 Euro wert, wie das Institut für Handelsforschung errechnet hat. Auch das dürfte inzwischen deutlich mehr sein. Denn allein zwischen 2006 und 2013 sind die Ausgaben um ein Viertel gestiegen.
Sitzt das Geld also jetzt, wo in Deutschland wieder mehr Kinder zur Welt kommen, lockerer? Das behauptet zumindest Steffen Kahnt vom Spielwarenhandelsverband BVS: „Die heutigen Eltern gründen später eine Familie und verfügen dann oft über erste Finanzpolster.“Noch dazu seien Kinder für viele Paare ein Projekt. „Da wird dann bei der Erstausstattung nicht geknausert.“Erst recht nicht beim Kinderwagen. Der sei so etwas wie „das neue Statussymbol“. Multifunktional, mit flexiblen Aufsätzen und Ledergriffen. Und der kann auch mal über 1000 Euro kosten.
So will Karl-Heinz Laber das nicht stehen lassen. Weil es hier, in der Baby-Welt, ja nicht den Kinderwagen gibt, sondern hunderte. Laber, 77 Jahre, lilafarbener Pullover und wache Augen, muss es wissen. Er hat den Fachmarkt in Gersthofen, der alles von der Schwangerschaft bis zum Kleinkind führt, aufgebaut. Natürlich, sagt der Seniorchef, gebe es hier den HightechKinderwagen, vollgefedert, so klein zusammenklappbar, dass er sogar ins Handgepäck passt. Aber genauso die Billig-Variante für 99 Euro. „Der hat auch vier Räder. Nur kauft den halt keiner.“
Dann sagt Laber, dass das alles kein Wunder ist. Weil sich doch so vieles verändert hat, wenn es um den Nachwuchs geht. „Der Stellenwert von Kindern ist viel höher. Früher hat man halt Kinder bekommen, man hat sie schon durchgebracht.“Heute, sagt er, sind Babys in der Regel geplant. Und die werdenden Eltern machen sich mehr Gedanken, was ihr Kind braucht. Oft stehen die Frauen schon im Laden, wenn der Babybauch noch gar nicht zu erahnen ist. Und dann, wenn das Kind da ist, sagt Laber, kommen die Eltern alle paar Monate wieder. „Ein Baby braucht jedes viertel bis halbe Jahr andere Sachen, es hat andere Bedürfnisse“, sagt er.
Der Seniorchef führt nach unten,
„Eltern gründen heu te später eine Fa milie. Bei der Erst ausstattung wird nicht geknausert.“Steffen Kahnt „Man meint, das wäre nur ein Türgitter. Das ist eine Wissenschaft für sich.“
Karl Heinz Laber
vorbei an Stillkissen und Spielbögen, Wickelauflagen und Windeleimern, vorbei an einem Paar, das aus 50 verschiedenen Babyschalen die passende sucht, hinüber zu den Laufställen und Schutzgittern, die man an der Treppe montieren kann. Und dann erzählt er. Vom Sicherheitsbedürfnis der Eltern, das heute deutlich ausgeprägter ist als noch vor Jahren. Und davon, dass es ja mittlerweile alles gibt. Treppengitter in Natur, Schlamm und Weiß, in 80 bis 130 Zentimetern Breite, aus Holz, Plastik und Metall, für 28 oder für 100 Euro – insgesamt 120 verschiedene Modelle. „Man meint, das wäre nur ein Türgitter“, erklärt Laber und macht eine Pause. „Aber das ist eine Wissenschaft für sich.“
Ob Eltern heute mehr ausgeben für ihren Nachwuchs? Laber steht zwischen Umstandsmode und Stramplern. Er sagt: „Das Glück ist nicht abhängig davon, wie viel Geld Sie ausgeben. Aber wir versuchen, Eltern das Leben schöner und bequemer zu machen.“
Bianca und Jan Klein, die Eheleute aus München, gehen in Richtung Kasse – ohne den Kinderwagen, auf den sie noch warten müssen, dafür mit einem grauen Schlafsack mit weißen Sternen. Wieder eine Sache weniger, die sie für das Baby besorgen müssen. Wieder ein Punkt auf der Liste, den sie abhaken können. Und sie haben jetzt grob zusammengerechnet, was das alles kostet. „Das dürften so zwischen 4500 und 5000 Euro sein“, sagt Bianca Klein. „Es geht natürlich auch günstiger. Aber das ist schon in Ordnung so.“