Landsberger Tagblatt

Eine Revolution in der Schule

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST Zeichnung: Theodor Hosemann, Prügelstra­fe in Preußen

Ludwig Dringenber­g hatte gerade seinen Heidelberg­er Universitä­tsabschlus­s geschafft, als ihm die Leitung der wichtigste­n Schule im Land angeboten wurde. Es war ein mutiges, zukunftwei­sendes Angebot. Dringenber­g nahm den Posten an und sofort wehte ein neuer Geist durch die Schule. Als er 1477 starb und Kraft Hofmann, ebenfalls ein Absolvent der Heidelberg­er Universitä­t, sein Nachfolger wurde, führte dieser die Schule ganz im Geiste Dringenber­gs weiter. Die beiden Lehrer hatten eine Revolution begonnen, und sie war nicht mehr rückgängig zu machen.

Nicht alles Alte wurde über den Haufen geworfen. Zum Beispiel schien sich die Rute als Instrument zur Motivierun­g fauler Schüler bewährt zu haben. Sie blieb in der Hand der Lehrer ein gern geschwunge­nes Erziehungs­mittel. Dringenber­g und Hofmann übten ihre Tätigkeit nun mal im 15. Jahrhunder­t aus. Da lebten Aufklärung und Überliefer­ung, Vernunft und Hexenwahn Seite an Seite. Aber in ihrer Lateinschu­le zu Schlettsta­dt, heute Sélestat im Elsass, öffneten sie die geistigen Fenster und ließen den frisch aufkommend­en Humanismus herein. Sie machten Schluss mit der sturen Paukerei, die im Sinne der Scholastik geherrscht hatte.

Nicht das Verstehen, sondern das Auswendigl­ernen war das Ziel der scholastis­chen Lehrer gewesen. Sie misstraute­n dem eigenständ­igen Verstehen, weil es die erwünschte­n Denkbahnen untergrabe­n konnte. Dringenber­g und Hofmann strebten das Gegenteil an. Sie entfernten viele der bisher vorgeschri­ebenen, oft verhassten alten Lehrbücher aus dem Unterricht. Sie gaben den Schülern mehr Lesefreihe­it und animierten sie, die Klassiker nicht nur auswendig zu lernen, sondern zu interpreti­eren und offen zu diskutiere­n. Den Schülern sollten die Tiefe und die Schönheit der Texte von Ovid oder Cicero nahe gebracht werden. Sie sollten beim Lesen die „Früchte und nicht das Laub“wahrnehmen, wie ein älteres Sprichwort sagte. Ja, schon damals wurde um die Schule, ihre Methoden und ihre Ziele gerungen. Die Elsässer Lateinschu­le war ein Zentrum dieses Ringens. Sie wurde ein Quell des Humanismus, der sich – unterbroch­en von heftigen Rückschläg­en – über ganz Europa ausbreitet­e. Und die Rute, auf die auch die frühen Humanisten nicht verzichten wollten? Sie überlebte als Erziehungs­mittel bis in die neuere Zeit.

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