Ein kleiner Lichtblick
Frauke Vangierdegom näht Abschiedssets für Babys, die keine Chance auf Leben hatten. Viele helfen bei dem Herzensprojekt mit
Bunte Stoffe stapeln sich in dem hellen Raum. Es läuft kein Radio. Nur das gleichmäßige Rattern der Nähmaschine ist zu hören. „Wenn ich für die Sternenkinder nähe, brauche ich Ruhe. Und Zeit. Ich kann mich nicht hinsetzen und das schnell machen“, sagt Frauke Vangierdegom. Seit einigen Monaten näht sie winzige Einschlagdecken, Mützchen, Moseskörbchen und Stoffsterne für den würdevollen Abschied von Sternenkindern. Von Babys also, die sehr früh gestorben sind (siehe Infokasten). Was sich aus einem Zufall heraus ergeben hat, ist für die Landsbergerin zu einem Herzensprojekt geworden, das ihr selbst sehr nahe geht. Mit ihrer Idee, die Sternenkinderkleidung an Kliniken abzugeben, damit die Eltern sie darin bestatten lassen können, ist sie auf offene Türen gestoßen.
Frauke Vangierdegom wohnt in Reisch, ist zweifache Oma und näht in ihrer Freizeit für ihr Leben gern. „Natürlich meistens Kleidung für meine Enkelkinder. Weil ich nichts wegwerfen kann, hatte ich immer so viele Stoffreste übrig“, berichtet sie. Und so kam sie zur Sternenkinderthematik: „Ich hab’ bei Google ’Stoffreste verwerten’ eingegeben und bin auf ’Nähen für Sternenkinder’ und die Schnittmuster gestoßen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Vangierdegom nicht besonders damit beschäftigt. Auch heute noch, sagt sie, werde das Thema oftmals tabuisiert. „Ich hatte nur von Bekannten gehört, dass sie ihr sehr früh verlorenes Baby in schlichten Moltonwindeln oder Mullbinden beerdigen mussten.“Das sei für die Angehörigen, die ohnehin schon voller Trauer sind, kein würdevoller Abschied und kein Trost. Vangierdegom, die als Mitarbeiterin des Landsberger Tagblatts tätig ist und Biografien schreibt, erkundigte sich genauer. „Erst seit etwa fünf Jahren ist es überhaupt möglich, die Sternchen bestatten zu lassen. Früher wurden sei mit dem Krankenhausmüll entsorgt, bekamen sie die Eltern nicht einmal zu Gesicht“, hat sie herausgefunden. Und so fasste sie den Entschluss, beim Landsberger Klinikum nachzufragen, ob Interesse an selbst genähter Sternenkinderkleidung bestehe. Und die Resonanz war groß: „Die Hebamme am Telefon hat geweint vor Rührung.“Inzwischen beliefert Frauke Vangierdegom die Krankenhäuser in Landsberg, Kaufbeuren, Füssen und Starnberg. Etwa alle zwei bis drei Monate werde nach einem Set gefragt. „Das erste, das ich genäht habe, war viel zu groß. Die Einschlagdeckchen müssen winzig sein, sie variieren zwischen zwölf und 15 Zentimetern.“Im Set dabei ist immer auch ein Stern im selben Stoff wie das Sternenkindgewand und eine Spruchkarte – als Erinnerung für die Eltern an ihr verlorenes Kind. Wenn Frauke Vangierdegom ein neues Set näht, geht sie in sich und denkt fest an das Sternchen, für das es bestimmt ist, wie sie erzählt. „Es ist immer ein komisches Gefühl, es geht mir sehr zu Herzen. Egal, wie klein die Zwerge sind, sie haben es verdient, ein schönes Gewand zu tragen. Wir werden ja auch nicht nackt oder in Mullbinden beerdigt.“
Weil sie mit ihrer Aktion offene Türen einrannte, waren ihre eigenen Stoffreste allerdings schnell aufgebraucht. „Man kann auch nicht jeden Stoff nehmen, es sollen fröhliche Farben und Muster sein, schön kindlich, mit freundlichen Motiven, nicht zu dunkel, weiche Stoffe, am besten Jersey oder Sweat-Stoffe.“Also wandte sich Vangierdegom an die Facebookgruppe „Du kommst aus Landsberg, wenn ...“, berichtete dort von ihrem Projekt und fragte nach, ob jemand Stoffreste dafür übrig hätte. Was dann folgte, damit hätte sie nicht gerechnet: „Es kamen Hunderte von Reaktionen, ich bekam sehr viel Zuspruch, und viele haben geschrieben, dass sie so etwas für ihr Sternenkind auch gerne gehabt hätten.“
Vangierdegom war überrascht, dass so viel Feedback kam, manche hätten sogar extra neuen Stoff gekauft, um ihn für diesen Zweck zu spenden. „Einige wollen auch Brautkleider spenden, um daraus Kleidung für Not-Taufen nähen zu lassen – für Kinder, die sehr geringe Überlebenschancen haben, oder für ganz kleine Frühchen.“Doch Frauke Vangierdegom will vorerst bei den Sternenkindersets bleiben und nimmt weiterhin gerne Stoffspenden an. Sie denkt außerdem über weitere Erinnerungsstücke nach, zum Beispiel über Teddybären oder Schlüsselanhänger. „Die Eltern brauchen etwas zum Erinnern, zum Festhalten. Das soll ein kleiner Lichtblick, ein Trost für sie sein.“
Auch wenn sie weiß, dass ihre Idee gerne angenommen wird, sagt sie: „Wenn ich im Krankenhaus anrufe und nachfrage, ob ein Set gebraucht wird, hoffe ich jedes Mal auf ein Nein.“Wenn doch ein Ja kommt, stecke sie viel Gefühl und Zeit in das Set. Es sei ein tröstender Gedanke, dass das Sternchen in einem selbst genähten Moseskörbchen „rüberschwimmen“darf, sagt Vangierdegom. Sie findet: „Das Thema sollte kein Tabu sein. Und es sollte sich rechtlich noch mehr tun – momentan gibt es nur ein Bestattungsrecht, aber keine -pflicht.“
„Die Kleinen haben das verdient. Wir werden ja auch nicht nackt oder in Mullwindeln beerdigt.“
Stoffreste Wer Stoffreste abgeben möchte, kann das in Landsberg bei En zer Fotografie Fotoni im Vorderanger 211 tun. Name, Telefonnummer und E Mail Adresse bitte mit abgeben, weil sich Frauke Vangierdegom bei jedem bedanken will.