Früher, als nicht einmal ein Bild im Herzen blieb
Frauen aus Reichling stricken für Sternenkinder. Und eine Betroffene erzählt, wie sich die Zeiten geändert haben
Das Strick-Café in Reichling trifft sich einmal monatlich im Pfarrheim Reichling. 20 Frauen stricken oder häkeln dort. Kürzlich überreichte Gerti Breitenmoser, die Triebfeder des Strick-Cafés, 50 Sternen-Gewänder an die Initiative Sternengwand in Peißenberg. Manuela Maar und Erika Reindl dankten den Strickerinnen, die für die Aktion mit viel Engagement Einschlagdecken gefertigt hatten.
Es sei nicht einfach gewesen, diese Einschlagtücher für die Sternenkinder sowie Mützen, Schuhe und Pulswärmer für Frühchen in einem Krankenhaus abzugeben – sie wurden aus unterschiedlichen Gründen nicht angenommen, berichten die Frauen. Dann wurde Gerti Breitenmoser auf die Initiative Sternengwand im Oberland aufmerksam. Sternengewand ist eine Organisation, die Eltern von Sternenkindern hilft – vorrangig durch kostenlose Kleidung, Abschiedskörbchen, Erinnerungsstücke für die Familien. Sie stellte den Kontakt zu Maar und Reindl her und konnte die gestrickten Werke weitergeben. Die Frauen fertigten die Deckchen teils mit Wehmut, weil man den Gedanken, wer darin zur Ruhe gebettet wird, schwer ausblenden könne. Die Initiative Sternengwand nahm die Werke dankbar in Empfang. In den Krankenhäusern im Oberland liegen sie für betroffene Eltern bereit.
Dass nicht jede Schwangerschaft mit einem gesunden Baby und einer glücklichen Familie endet, wissen die Frauen des Strick-Cafés. Wenn ein Baby stirbt, bevor es leben durfte, kann es den Eltern helfen, in ihrer Trauer das Sternenkind in einem schönen Gewand, Deckchen oder Körbchen verabschieden zu können. Jedes Sternengewand für still zur Welt gekommene Babys hat ein Erinnerungsstück dabei, ein gestricktes Herz, eine Blüte oder einen gehäkelten Schmetterling, der für die Eltern bestimmt ist.
Bei diesem Thema muss man sich ein wenig mit der Vergangenheit beschäftigen, um verstehen zu können, dass es für Mütter, Väter und Geschwister ein großes Glück ist, dass diese Form von Abschiednehmen heute möglich ist. Früher – so berichtet eine Betroffene, die vor vielen Jahren selbst die schreckliche Erfahrung machen musste – wurden den Müttern bei einer drohenden Fehlgeburt routinemäßig Beruhigungsmittel verabreicht. Bis in die 1980er-Jahre sei dies gang und gäbe gewesen. Bis damals habe man die Fehl- oder Frühgeburt als Mutter nicht sehen oder beerdigen dürfen. Wenn das zu früh zur Welt gekommene Kind unter einer bestimmten Gewichtsgrenze lag, sei es mit dem OP-Abfall „entsorgt“worden. Die Betroffene sagt im Gespräch mit dem LT dazu: „Man sollte sich sein Kind immer ansehen dürfen. Wie sollte man das Unbegreifliche sonst begreifen? Wie soll man so ein Ereignis verarbeiten, wenn es einfach verschwindet und man nie wieder drüber reden, es verdrängen soll? Gehört vor dem Abschiednehmen nicht immer erst das Kennenlernen dazu?“– dies seien Fragen, mit denen sich Betroffene beschäftigen.
Früher seien diese Geburten „totgeschwiegen“worden. Es seien unzählige Kinder, über die niemand rede, die keinen Namen bekamen und von denen man glaubte, dass man sie und den Schmerz vergisst, wenn man ihre Existenz verleugne. „Den Müttern wurde eingeredet, dass es besser für sie sei, wenn sie das Kind nicht sehen. Sie kamen nach Hause und hatten nichts, das sie an das zur Welt gebrachte Wesen erinnerte, weder ein Foto noch ein Bild im Herzen.“
Glücklicherweise habe sich das durch das Engagement von Betroffenen, Psychologen und Hebammen geändert. Jeder Embryo werde bis zur Beisetzung in der Pathologie aufbewahrt. Es gibt heutzutage Möglichkeiten, Sternenkinder würdevoll bestatten zu lassen. Die heutigen Konzepte nehmen Rücksicht auf Wünsche der Eltern. Daten zur Geburt, Name, Größe und Gewicht werden mit Fuß- und Handabdruck, einer Haarlocke, einem Namensbändchen und Erinnerungsbildern festgehalten. Die Mütter werden begleitet von Hebammen, Gynäkologen, Psychologen oder Seelsorgern.
„Gehört vor dem Abschied nehmen nicht immer erst das Kennenlernen dazu?“