Abschied vom Atomkraftwerk
Als feststand, dass der Meiler in Grafenrheinfeld schließt, entschloss sich der AKW-Chef, in Rente zu gehen
Reinhold Scheuring kennt jedes Ventil, jedes Rohr, jeden Schalter im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Fast vier Jahrzehnte lang hat der Elektrotechniker mit dafür gesorgt, dass dort jedes Jahr mehrere Milliarden Kilowattstunden Strom produziert wurden. 2015 ging der Meiler vom Netz. Damit stand für Scheuring fest: „Den Rückbau tue ich mir nicht an. Ich gehe!“
Sein Nachfolger ist Bernd Kaiser. Der Maschinenbauer und Energietechniker kennt sich mit Rückbau aus. Der 43-Jährige war bereits beim Rückbau der Meiler in Würgassen (Nordrhein-Westfalen) und Stade (Niedersachsen) beteiligt. In Grafenrheinfeld waren die beiden Männer mehr als ein Jahr gemeinsam unterwegs. Nun, zum 30. April 2017, ist für Scheuring Schluss und Kaiser wird der neue Chef des unterfränkischen AKW.
Wenn die beiden über das Gelände laufen, verbinden sie damit verschiedene Erinnerungen damit. Kaiser kennt die beiden riesigen Kühltürme nur ohne Dampf. Für Scheuring dagegen bedeuteten dampflose Türme entweder unerwartete Probleme oder geplante Bauarbeiten.
Mit Blick auf seine Zeit sagt er: „Das Plus überwiegt das Minus.“Ohne seine Mitarbeiter, die er als Team bezeichnet, wäre das nicht möglich gewesen. Er sei eben der Trainer gewesen. „Wir waren ja auch Weltmeister“, sagt Scheuring. In den 1980er Jahren produzierte Grafenrheinfeld zeitweise den meisten Strom weltweit.
Die Abschaltung, der Rückbau – das geht Scheuring an die Nieren. „Wir haben die Anlage jahrzehntelang gehegt und gepflegt und nun müssen wir sie zerstören und rückbauen. Wenn man sieht, was zur Schrottpresse gefahren wird, blutet einem sehr das Herz. Vor allem als Techniker“, sagt Scheuring. Er ist nach wie vor davon überzeugt, dass die Stilllegung die falsche Entscheidung sei. „Es war eine sichere und bezahlbare Energie. Nun importieren wir aus Temelin. Das schmerzt und frustriert schon.“
In Grafenrheinfeld ist die Ära nun vorbei. Der sichtbare Abriss des Kraftwerks findet Kaiser zufolge frühestens 2033/2034 statt. Noch steht die Genehmigung des bayerischen Umweltministeriums dafür aus. Der Bund Naturschutz hat bereits angekündigt, im Falle einer Genehmigung dagegen zu klagen. Er sieht eine Sicherheitslücke, weil das bis 2046 geplante Zwischenlager nach dem Abriss des Reaktorgebäudes keine geeignete Reparaturstätte mehr hätte.
Darum muss sich Scheuring nun keine Sorgen mehr machen. Der 61-Jährige freut sich darauf, mehr Zeit für den Sport und seine fünf Enkel zu haben. „Endlich mal keine Checklisten. Und nicht schon morgens direkt nach dem Aufwachen die Termine durchgehen.“