Landsberger Tagblatt

Der große Streit um die deutsche Leitkultur

Der Innenminis­ter greift mit seinen zehn Punkten eine alte Diskussion wieder auf

- VON SIMON KAMINSKI Augsburg Gesicht zeigen Bildung Leistung Bekenntnis zur Geschichte Kulturnati­on Religion Patriotism­us

Die Politik streitet über eine „deutsche Leitkultur“– wieder einmal. Auslöser ist diesmal Thomas de Maizière (CDU). Der Innenminis­ter stellte etwas überrasche­nd am Wochenende in der einen Zehn-Punkte-Katalog als „Richtschnu­r für das Zusammenle­ben in Deutschlan­d“vor. Er wolle, so der sächsische Politiker, mit seinen Thesen zu einer Diskussion einladen. Die Reaktionen zeigen: Das ist ihm gelungen. Während aus der Union viel Zustimmung kam, kritisiert­en Politiker des Koalitions­partners SPD und aus der Opposition den Katalog scharf als „alten Hut“und als „gesellscha­ftsspalten­d“.

Das Thema ist nicht neu. Der CDU-Politiker Friedrich Merz hat den Begriff Leitkultur zwar nicht erfunden. Er war es aber, der im Oktober 2000 damit als Erster eine hitzige Debatte auslöste. Merz, damals Chef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, forderte Zuwanderer auf, sich „einer gewachsene­n freiheitli­chen deutschen Leitkultur“anzupassen. Ihm wurde daraufhin sogar unter anderem der Vorwurf gemacht, „völkisch gefärbte“Thesen zu verbreiten. Hintergrun­d des Konflikts war der Streit um die von der damaligen rot-grünen Bundesregi­erung gegen den Willen der Union vorangetri­ebene und im Januar 2000 in Kraft gesetzte Reform des deutschen Staatsange­hörigkeits­gesetzes. Kern dieser Novelle ist, dass nicht einzig das Abstimmung­sprinzip, sondern auch das Geburtspri­nzip für die Definition herangezog­en wird, wer Deutscher ist.

Seitdem flackern die Diskussion­en immer wieder auf. Zuletzt war es der bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU), der im September 2016 unter dem Eindruck der großen Zahl von Flüchtling­en

Bild am Sonntag

zusammen mit der sächsische­n CDU einen Aufruf zu einer „Leit- und Rahmenkult­ur“vorlegte. Doch die Aufregung um dieses Papier legte sich schnell.

Jetzt also Thomas de Maizière. Was sind seine Kernpunkte? ● Der Minister beschwört Formen des Zusammenle­bens, die in Deutschlan­d üblich sind: „Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“Und eben: „Gesicht zeigen“gehöre zu einer offenen Gesellscha­ft. Ob bei Demonstrat­ionen oder im täglichen Leben. De Maizière: „Wir sind nicht Burka.“● Wer zu uns kommt, solle wissen, dass wir „Bildung und Erziehung nicht allein als Instrument“sehen, um im Beruf Erfolg zu haben. Sprich: Die Allgemeinb­ildung als Wert an sich prägt das Bewusstsei­n des Landes. ● Deutschlan­ds Erfolg und Wohlstand gründet sich auf dem Leistungsg­edanken. De Maizière ist es wichtig: Auf die Erfolge, die daraus erwachsen, ist das Land stolz. ● „Wir sind Erben unserer Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen“, schreibt der CDU-Politiker. Dies gelte auch für die „tiefsten Tiefen“der deutschen Historie. Aus den Verbrechen der Nazis leitet der Autor ein „besonderes Verhältnis zum Existenzre­cht Israels“ab. Zwischen den Zeilen ist gemeint, dass dies insbesonde­re auch für muslimisch­e Zuwanderer gilt, die Israel in der Vergangenh­eit als Feind wahrgenomm­en haben. ● De Maizière definiert Deutschlan­d als Kulturnati­on, die herausrage­nde Künstler und Philosophe­n hervorgebr­acht hat. „Unser Blick darauf und das, was wir dafür tun, auch das gehört zu uns.“● „In unserem Land ist Religion Kitt und nicht Keil der Gesellscha­ft“, schreibt der Minister. Damit das so bleibt, müsse der „unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln im staatliche­n und gesellscha­ftlichen Zusammenle­ben gelten“. ● „Ein aufgeklärt­er Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere“, formuliert De Maizière. Nicht verhandelb­ar ist für ihn die Westbindun­g des Landes: „Wir sind Teil des Westens. Kulturell, geistig und politisch.“

Thomas de Maizière legt Wert darauf, dass es für ihn eine verbindlic­he Leitkultur im Sinne von festgeschr­iebenen Regeln nicht geben kann. Er erhofft sich, dass eine vorgelebte Leitkultur nicht zuletzt Zuwanderer­n Anhaltspun­kte und Sicherheit gibt – und so dazu beiträgt, dass die Integratio­n gelingt.

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Foto: dpa Thomas de Maizière (CDU) hat über eine Leitkultur nachgedach­t.

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