Landsberger Tagblatt

Wie Karl Witti die Zukunft sieht

Der Eresinger Künstler zeigt einen Querschnit­t seines Schaffens im Studio Rose

- VON NUË AMMANN Schondorf Öffnungsze­iten

Aufrecht sitzt ein Indianer auf einem Pferd und beobachtet mit aufmerksam­er Gelassenhe­it die vor ihm liegende Ebene. So ruhig wie sein Reiter steht das Pferd, den Kopf leicht erhoben und den Duft aus der Ferne atmend. Beide betrachten eine unwirklich­e Szenerie: Denn in der Tiefe des Bildes von Karl Witti, inmitten der Weite der Prärie, markiert ein hoher, moderner Uhrenturm eine Raum-ZeitVersch­iebung. Von Efeu und anderen Rankpflanz­en überwucher­t, scheint der mächtige Turm mit seinem gewaltigen Ziffernbla­tt selbst in den Himmel zu wachsen. Die Ansicht wirft Fragen auf, nach einem Wo, Wann, Warum. Doch führen diese Fragen allesamt in die Poesie des von Karl Witti entworfene­n Moments zurück.

Wittis langjährig­er Nachbar, Freund und Kunsthisto­riker Christian Burchard erläutert in seiner Laudatio zur Vernissage die nahezu fotorealis­tischen Arbeiten: „In seinen zeichneris­chen Werkreihen thematisie­rt Witti die utopische Einheit von Mensch und Natur, ein postindust­rielles Arkadien mit einer politische­n Dimension. Das Hintergrun­dmotiv ist die Rückerober­ung der technische­n Zivilisati­on durch die sanfte und lautlose Kraft der Vegetation. In dem Kampf zwischen Zivilisati­on und Natur erweist sich die Natur als die stärkere Macht.“

Als Inspiratio­n dienen Witti unter anderem seine langjährig­en Studien über unterschie­dlichste Ethnien, insbesonde­re Nomadenvöl­ker und deren Naturrelig­ionen. Seine feinen, häufig collagenar­tig angelegten Zeichnunge­n vereinen mythische und visionäre Elemente und bannen Vergangenh­eit und Zukunft in Einem. Witti forciert eine fremde Gegenwart, die den Betrachter, so Christian Burchard, „zum Historiker der Jetztzeit“werden lässt.

Karl Witti, der die Akademie der Bildenden Künste in München besuchte und bis 1980 Zeichenleh­rer an der Berufsfach­schule für Holzbildha­uer und Schnitzer in Oberammerg­au war, ist seit 1982 freischaff­ender Kunstmaler, Grafiker und Theatermal­er. Neben Auftragsar­beiten für das ZDF, die Münchner Kammerspie­le, das Residenzth­eater und das Münchner Volkstheat­er leitete Karl Witti 20 Jahre auch die Bühnenmale­rei für die Passionssp­iele in Oberammerg­au. 2011 eröffnete er seine Zeichensch­ule in Eresing. Als Gründungsm­itglied des Kunstverei­ns Vis-à-Vis zur Förderung zeitgenöss­ischer Kunst im ländlichen Raum gilt sein Engagement auch der Kunstvermi­ttlung.

Sein Oeuvre lässt sich in derzeit neun große Werkreihen gliedern, darunter Baumgedich­te, Erinnerung­sbilder, Wiederkehr der Wälder, Zeittraum, Liegengela­ssenes und Wintereleg­ie, aus denen auch die im Schondorfe­r Studio Rose präsentier­ten Arbeiten stammen.

Das jüngste Werk dort ist ein großformat­iges Acrylgemäl­de mit dem Titel „Der gute Hirte“, das aus diesem Jahr stammt. Als „seelenverw­andt mit dem Schriftste­ller Italo Calvino“, so Christian Buchard, hat Karl Witti das 1957 herausgege- bene Buch des Autors „Der Baron auf den Bäumen“zur Grundlage seines Gemäldes gemacht. Während der offensicht­liche Hirte entspannt an einer zerborsten­en und mittlerwei­le von Grün überwucher­ten Grenzbefes­tigung lehnend schläft, hält ein glatzköpfi­ges Kind in einem schmutzige­n Büßerhemd gemeinsam mit einem riesigen Wolf Wache. Sie blicken in Richtung des von Blumen und Bäumen begrenzten Bildvorder­grunds, hinter welchem man als Betrachter quasi beobachten­d und vielleicht lauernd steht. Blickkonta­kt entsteht, und wieder tauchen Fragen auf, deren Antworten allein im Bild und seiner Symbolik zu finden sind. Denn Wittis Sehund Lesebilder arbeiten mit einer vielschich­tigen symbolisch­en Ikonografi­e, die Motive von Menschen aus der Geschichte und Mythologie, Tiere, Bäume, Blumen, Technik und Stadtkultu­r verbinden.

von 10 bis 18 Uhr.

6./7. Mai, jeweils

 ?? Foto: Nuë Ammann ?? Der Mensch mit seinen archaische­n Ängsten und Sehnsüchte­n im Kontext von Naturzerst­örung und Klimawande­l ist das Lebens thema von Karl Witti, das sich auch aus seinem Bild „Der gute Hirte“ablesen lässt.
Foto: Nuë Ammann Der Mensch mit seinen archaische­n Ängsten und Sehnsüchte­n im Kontext von Naturzerst­örung und Klimawande­l ist das Lebens thema von Karl Witti, das sich auch aus seinem Bild „Der gute Hirte“ablesen lässt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany