Warum eine Stradivari kein Brennholz ist
Geigenbauer Martin Schleske findet Rankings in Sachen Musik „widerlich“. Der Landsberger ist Geigenbauer, Künstler, Klangforscher und Physiker
Landsberg Eine Stradivari Brennholz? So lautete gestern provokant eine Überschrift auf der Titelseite unserer Zeitung. Neuzeitliche Geigen sollen einer Studie (aus USA und Frankreich) nach besser sein als die weltberühmten Geigen. Der Landsberger Geigenbauer Martin Schleske findet diese Studie und die provokante Überschrift eine „unangemessene Provokation“und eigentlich „eine Frechheit“.
Empirische Forscher aus den USA und aus Frankreich hatten ein 55-köpfiges Publikum in Paris und ein 82-köpfiges Publikum in New York zehn Geigern lauschen lassen, die mit verbundenen Augen hinter einem Wandschirm mal mit alten, mal mit neuen Geigen aufspielten. Und dann hätten die Hörer „den dargestellten Klang der neuen Violinen besser als den der alten“empfunden. So heißt es in der Studie aus der US-Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Das, so der Landsberger Geigenbauer Martin Schleske, könne man nicht ernstnehmen. Eine Stradivari sei ein Weltkulturerbe, dem man Respekt entgegenbringen müsse. „Etwas Wunderbares, etwas, dem man Ehrfurcht entgegenbringen muss, ist hier geschaffen worden“, so Schleske. Er arbeitet in seinem Werkstatthaus am Hellmair-Platz. Schleske ist Handwerker, aber auch Künstler, Klangforscher, Physiker, Autor – und – wenn man mit ihm ins Gespräch kommt – auch Philosoph. Deshalb nimmt er Blindstudien, die wie in den USA auch von Mitarbeitern moderner Streichinstrumentenhersteller durchgeführt wurden, nicht sonderlich ernst. Er ärgert sich nur darüber. Schleske stellt eigene Geigen her, und sieht in einer Stradivari eine „atemberaubende Vollkommenheit“. Schleske spielt selbst seine eigenen, aber auch alte Instrumente. Es sei widerlich, aus allem einen Sport zu machen. Musik sei kein Sport, und man müsse Dinge nebeneinander bestehen lassen, die nicht vergleichbar sind. „Man kann nicht sagen, was ist besser. Es ist anders“, sagt Schleske. Das Ziel der Musik, so der Philosoph Schleske, sei es, den Körper der Geige zum Klingen zu bringen – und das kann nur der Mensch.
Diese Musik sei Ausdruck der Seele, und die Seele der Zuhörer werde berührt. „Ein Ranking ist hier völlig fehl am Platz, was man hier braucht, ist Charakter, denn Mensch und Geige werden zu einer Einheit. Geige spielen ist im besten Fall wie Singen. Musiker sein, heißt, mit dem Instrument zu verschmelzen.“Es gebe 500 Stradivaris. Viele davon seien kaputt renoviert, aber es gebe nicht die Stradivari. Zum Schluss erklärt Schleske noch den Unterschied zwischen einem guten und schlechten Instrument – ganz ohne Ranking: „Eine gute Geige ist ein wildes Instrument, mit mächtigen Resonanzen, die der Musiker zähmen muss, sonst beißt sie ihn.“Sie muss den Musiker fordern, ja überfordern. Eine Schülergeige dagegen müsse leicht zu spielen sein. „Sie muss ständig belebt werden, und belebt aber nicht.“Insoweit könne man überhaupt von gut und schlecht sprechen und von objektiven Kriterien. Drei davon seien Ansprache, Dynamik und Tragfähigkeit des Instruments.