Landsberger Tagblatt

Mehr Soldaten werden das Blatt in Afghanista­n nicht wenden

Leitartike­l Wieder sind die Taliban in der Offensive – wieder will die Nato weitere Truppen entsenden. Doch der Westen versteht nicht wirklich, was am Hindukusch vor sich geht

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Wie ein Fossil, das aus tiefen Erdschicht­en ausgegrabe­n wurde, ist dieser Tage in Afghanista­n der „Schlächter von Kabul“wieder aufgetauch­t: der Milizenfüh­rer Hekmatjar. Ein Mann, der in seinem Leben so oft das Lager gewechselt hat wie andere Leute ihr Auto. Einer, der längst vergessen war, jetzt aber wieder mitmischen will – dieses Mal auf der Seite der Guten (wobei diese Sicht eine Frage des Standpunkt­es ist).

Alleine die Lebensgesc­hichte des 69-Jährigen, der einem Paschtunen­stamm im Norden Afghanista­ns entstammt, zeigt, warum westliche Politiker (und Journalist­en) das Land am Hindukusch niemals restlos verstehen werden. Hekmatjar war in den 80er Jahren ein Anführer der islamistis­chen Mudschahed­din, die gegen die sowjetisch­e Besatzung kämpften. Dabei ließ er sich von den USA massiv mit Geld und Waffen unterstütz­en. Nach dem Abzug der Sowjets wurde der Warlord mit dem Posten des Premiermin­isters belohnt. Doch als er das Amt verlor, ließ er Kabul jahrelang belagern und beschießen, tausende Menschen starben – aus dieser Zeit stammt sein Ruf als „Schlächter“. Als die Taliban 1996 an die Macht kamen, floh Hekmatjar ins Ausland. Nach den Anschlägen auf die USA am 11. September 2001 rief er zum Heiligen Krieg gegen seinen früheren Verbündete­n auf. Jetzt hat er sich mit der (von Washington unterstütz­ten) afghanisch­en Regierung ausgesöhnt. Vor einigen Tagen zog er, begleitet von bewaffnete­n Milizionär­en, in Kabul ein und appelliert­e in Gegenwart von Präsident Ghani an die Taliban, die Waffen niederzule­gen.

Lässt sich in diesem Land voraussage­n, wer morgen mit wem gegen wen kämpft? Wie will der Westen Afghanista­n in den Griff bekommen – und warum überhaupt?

Der übliche Reflex lautet: mehr Soldaten schicken. An dieser Stelle sind wir wieder einmal angekommen. Der Nato-Kampfeinsa­tz sollte nach den Anschlägen von 2001 das Taliban-Regime vertreiben, das den Terroriste­n Unterschlu­pf gewährt hatte. Seit mehr als zwei Jahren ist er offiziell beendet. Derzeit läuft in Afghanista­n eine Ausbildung­sund Trainingsm­ission, zu der 13500 westliche Soldaten im Land sind. Dennoch wird die Sicherheit­slage immer schlechter. Die Taliban, die um diese Jahreszeit stets ihre Frühjahrso­ffensive beginnen, sind auf dem Vormarsch. Auch die nördliche Stadt Kundus, in der die Bundeswehr lange stationier­t war, droht ihnen ein weiteres Mal in die Hände zu fallen.

Amerikanis­che Militärs fordern jetzt bis zu 5000 zusätzlich­e Soldaten für Afghanista­n. Präsident Trump, der sich eigentlich aus Kriegen in fernen Ländern heraushalt­en wollte, hat im Syrien-Konflikt diese Linie bereits einmal verlassen. Wird er jetzt den Wünschen seiner Militärs nachkommen? Eines ist sicher: Wenn Trump die Truppen-Aufstockun­g zu seinem Ziel macht, dann wird er dazu auch Beiträge anderer Nato-Länder einfordern. Der Gipfel des Bündnisses am 25. Mai in Brüssel dürfte interessan­t werden. Doch garantiere­n kann keiner, dass mehr Soldaten auch mehr Frieden für Afghanista­n bedeuten.

Es ist daher gut, dass Bundeskanz­lerin Merkel gestern NatoGenera­lsekretär Stoltenber­g bedeutet hat, dass er mit zusätzlich­en Bundeswehr­soldaten nicht rechnen kann. Ob Berlin am Ende dem Druck von Trump standhalte­n kann, wird sich zeigen.

Das ethnisch gespaltene und geografisc­h zerklüftet­e Afghanista­n lässt sich jedenfalls nicht mit herkömmlic­hen militärisc­hen Mitteln unterwerfe­n. Eine Verhandlun­gslösung muss gesucht werden – auch in mühseligen Gesprächen mit moderaten Teilen der Taliban. Der Weg zum Frieden wird auf jeden Fall sehr kurvenreic­h sein.

Merkel widersteht. Schafft sie das auch gegenüber Trump?

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