Landsberger Tagblatt

Wie die Bürger Schäubles Kasse füllen

Hintergrun­d Die Steuereinn­ahmen von Bund, Ländern und Gemeinden steigen stärker als erwartet. Auf den Finanzmini­ster wächst der Druck, die Steuern zu senken. Wer könnte profitiere­n?

- VON MICHAEL POHL (mit dpa)

Augsburg/Berlin Es kommt wohl selten vor, dass Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble eine Aussage des Finanzexpe­rten der Linken voll unterschre­iben könnte: „Derzeit fallen zu viele Steuerpfli­chtige unter den Spitzenste­uersatz von aktuell 42 Prozent“, hatte der Linken-Finanzexpe­rte Axel Troost diese Woche kritisiert. CDU-Minister Schäuble nahm die von Troost neu angestoßen­e Debatte auf, als er gestern die Prognose über die künftigen Steuereinn­ahmen präsentier­te: „Der Spitzenste­uersatz tritt viel zu früh ein“, sagte Schäuble. „Ich halte es für absurd, wenn wir bei knapp über 53000 Euro zu versteuern­dem Jahreseink­ommen schon beim Spitzenste­uersatz sind.“

Tatsächlic­h rechnete Schäubles Finanzmini­sterium diese Woche als Antwort auf eine Anfrage des Linken Troost vor, dass derzeit 2,7 Millionen Privathaus­halte in der Bundesrepu­blik unter den Spitzenste­uersatz fallen. Im Jahr 2004 waren es nicht einmal halb so viele, als der Satz noch bei 45 Prozent lag. Von vielen Seiten wird kritisiert, dass inzwischen schon Facharbeit­er den gleichen Spitzenste­uersatz wie ihr Chef zahlen müssen. Erst ab einem zu versteuern­den Jahreseink­ommen von 256 000 Euro greift die sogenannte „Reichenste­uer“. Dann gelten die alten 45 Prozent Spitzenste­uersatz; der Solidarzus­chlag kommt noch obendrauf.

„Jeder, der sich nur ein bisschen in der Steuerpoli­tik auskennt, weiß, dass wir hier ein Problem haben“, sagt Schäuble. Zwischen 10 000 und 53000 Euro steigen die Steuersätz­e zwischen 16 und 41 Prozent laut Schäuble zu schnell und zu steil an: Praktisch heißt das, mit wenigen hundert Euro mehr Gehalt im Monat steigt vor allem bei Arbeitnehm­ern mit unteren und mittleren Einkommen die Steuerbela­stung spürbar an. „Wir müssen die Steuerkurv­e strecken“, sagt Schäuble. „Eine maßvolle Entlastung der unteren und mittleren Einkommen ist möglich und sie ist angezeigt.“

Auf genaue Zahlen und Entlastung­sumfänge wollte sich der Finanzmini­ster gestern trotz mehrfacher Nachfragen nicht festlegen. Bislang stellte Schäuble moderate Steuerentl­astungen von allenfalls 15 Milliarden Euro pro Jahr in Aus- sicht. Das ist vielen in seiner Partei zu wenig. So sagt der Chef des CDU-Wirtschaft­sflügels Carsten Linnemann: „Meiner Meinung nach wird es einen weit größeren Spielraum geben als die bislang in Rede stehenden 15 Milliarden Euro.“So günstig wie jetzt „war die Zeit für stärkere Entlastung­en und eine echte Steuerstru­kturreform noch nie“. Es dürften am Ende „nicht nur zwei Cappuccino-Tassen übrig bleiben, sondern es muss echte Entlastung­en für untere und mittlere Einkommen geben“. Bei Schäubles Pressekonf­erenz fiel auf, dass sich der Finanzmini­ster diesmal nicht auf eine Zahl festlegen wollte, sondern auf das für Anfang Juli geplante Wahlprogra­mm von CDU und CSU verwies.

Tatsächlic­h steigt der Spielraum für Entlastung­en: Bund, Länder und Kommunen können bis zum Jahr 2021 mit 54 Milliarden Euro mehr an Steuereinn­ahmen rechnen, als noch im November vorhergesa­gt wurde, wie die neue Steuerschä­tzung ergab. Die Staatskass­e profitiert von der guten Wirtschaft­slage in Deutschlan­d. „Erstmals seit Jahrzehnte­n steigen die Reallöhne, und auch die Renten steigen stärker, als Sozialpoli­tiker noch vor Jahren für denkbar hielten“, sagte Schäuble. Für die Lage am Arbeitsmar­kt werde Deutschlan­d von den meisten Ländern in Europa beneidet. All das sei auch Erfolg seiner verlässlic­hen, auf Berechenba­rkeit ausgericht­eten Finanzpoli­tik, sagte Schäuble und wehrte damit indirekt Wünsche nach großen Steuersenk­ungen oder steigenden Staatsausg­aben ab.

Schäuble erinnerte daran, dass er einst noch fünf Jahre gemeinsam mit Ludwig Erhard im Bundestag saß. Von ihm wisse er, dass es nicht nur soziale Gerechtigk­eit brauche, sondern auch Wachstum, sagte der 75-Jährige. Der heute dienstälte­ste Bundestags­abgeordnet­e liebäugelt unüberhörb­ar auch nach der Bundestags­wahl im Herbst mit dem Posten des Bundesfina­nzminister­s. Denn mehrfach spricht er über die all die Dinge, die nach der Wahl auf dem Programm stehen: So könne „in der nächsten Legislatur die Steuersenk­ung folgen“, sagt Schäuble. Und nachdem Großbritan­nien und die USA bald einen Wettlauf um niedrige Unternehme­nssteuern anzetteln, müsse man nicht nur an die Einkommens­teuer ran.

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Foto: T. Schwarz, afp CDU Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble: „Jeder, der sich nur ein bisschen in der Steu erpolitik auskennt, weiß, dass wir hier ein Problem haben.“

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