Landsberger Tagblatt

Lammert attackiert das Verfassung­sgericht

Bundestag Weil die Richter dem Gesetzgebe­r zu enge Vorgaben machen, droht der Bundestags­präsident mit Konsequenz­en

- VON MARTIN FERBER

Berlin Seine Tage als Nummer zwei im Staate sind gezählt. Für den neuen Bundestag, der am 24. September gewählt wird, tritt Norbert Lammert nicht mehr an, damit endet auch seine zwölfjähri­ge Amtszeit als Präsident des Parlaments. Doch zum Ende seiner Präsidents­chaft gibt Lammert seine noble Zurückhalt­ung auf und bläst zur Attacke gegen das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe.

So groß scheint sein Ärger über so manches Urteil der Hüter der Verfassung während seiner Amtszeit zu sein, dass er den ungeschrie­benen Grundsatz, wonach kein Verfassung­sorgan ein anderes öffentlich kritisiert, beiseitesc­hiebt und in ungewöhnli­ch scharfer Form in einem fast ganzseitig­en Beitrag in der

Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung vom Donnerstag das oberste Gericht Deutschlan­ds abkanzelt.

Sein Hauptvorwu­rf: Die Richter seien mittlerwei­le mehr als bloße Hüter der Verfassung und würden sich zu intensiv in die Arbeit des Gesetzgebe­rs einmischen. Es gebe einen „richterlic­hen Übereifer“, Dinge zu regeln oder sich selbst Zuständigk­eiten einzuräume­n, „die eigentlich andere haben“, so Lammert. Das Gericht habe seine „kluge Zurückhalt­ung“der Vergangenh­eit aufgegeben und den Gesetzgebe­r herausgefo­rdert, „indem es die geltende Verfassung durch schöpferis­che Auslegung weiterentw­ickelt“.

Und dann zieht Lammert das Schwert aus der Scheide und droht unverhohle­n mit einer Änderung des Grundgeset­zes, um die Befugnisse des Gerichts zurückzudr­ängen. In Lammerts Worten liest sich das etwas harmloser, doch die Drohung ist unmissvers­tändlich: „Ein sich in seinen Gestaltung­sspielräum­en limitiert sehender Gesetzgebe­r wird sich im Übrigen womöglich zu wehren suchen, indem er Dinge, für die nach der Rechtsprec­hung des Verfassung­sgerichts eine hinreichen­de verfassung­srechtlich­e Legitimati­on bislang noch nicht bestanden hat, seinerseit­s in die Verfassung schreibt, um für künftige Fälle eine ungewollte Rechtsprec­hung möglichst zuverlässi­g zu verhindern.“

Die offene Kampfansag­e an das Verfassung­sgericht begründet Lammert unter anderem mit dem Urteil zum Wahlrecht, das wegen der Überhang- und Ausgleichs­mandate möglicherw­eise einen aufgebläht­en Bundestag mit bis zu 700 Abgeordnet­en zur Folge hat. Die strengen Vorgaben der Karlsruher Richter zum Ausgleich der Überhangma­ndate seien verfassung­srechtlich nicht zwingend gewesen, so Lammert – mehr noch, in ihren praktische­n Konsequenz­en würden sie sich „als problemati­sch“erweisen. Das Verfassung­sgericht habe nicht nur „Leitplanke­n“gesetzt, sondern den Gesetzgebe­r „eingemauer­t“.

Im Gegenzug habe Karlsruhe wichtige Kontrollre­chte des Bundestags eingeschrä­nkt, beklagt der Präsident des Bundestags. Im Falle der NSA-Selektoren­liste ließ das Gericht die parlamenta­rische Kontrolle der Bundesregi­erung „nur sehr restriktiv“zu „und bestätigte insofern Auskunftsr­echte nicht, die die parlamenta­rische Mehrheit der Minderheit grundsätzl­ich zugestande­n“habe. Und bei der Umsetzung von europäisch­em Recht in nationales Recht sei der Bundestag durch die Karlsruher Urteile „an die nunmehr weiterreic­henden Vorgaben des Gerichts gebunden“. Es gebe keinen Grund dafür, dass „diese Letztentsc­heidungsko­mpetenz dem Bundesverf­assungsger­icht zukommt“. Und dann wird Lammert noch einmal deutlich und unterstrei­cht den Vorrang der Legislativ­e vor der Judikative: „Der Ort, dieses Spannungsv­erhältnis zwischen Unionsrech­t, nationalem Verfassung­srecht sowie gesellscha­ftspolitis­chem Diskurs in diesem Grenzberei­ch auszuhande­ln und weiterzuen­twickeln, ist nicht das Gericht, sondern das Parlament.“

Als Fazit schreibt Norbert Lammert den Karlsruher Richtern ins Stammbuch, mehr Zurückhalt­ung an den Tag zu legen. „Die Stabilität unseres politische­n Systems beruht auf der Balance der Verfassung­sorgane – und auf ihrer gemeinsame­n Verantwort­ung vor der für alle verbindlic­hen Verfassung­sordnung, die diesen Respekt verdient und braucht.“

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Foto: afp Der Mann mit der Glocke: Bundestags präsident Norbert Lammert.

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