Landsberger Tagblatt

Das riecht nach einer Sensation

Unser Geruchssin­n ist wesentlich besser, als wir annehmen. Bei einigen Düften übertrifft er sogar Hunde. Doch die Nase muss trainiert werden, sonst verliert sie ihre Kraft

- VON CHRISTIAN GALL Augsburg (mit dpa)

Menschen, die gut riechen, verfluchen oft ihre Nase. Denn in das Duftorgan strömen nicht nur angenehme Noten, sondern auch scheußlich­e. Etwa der Geruch eines Pfandflasc­henautomat­en im Sommer oder die Ausdünstun­gen eines Sitznachba­rn im Zug. Forscher haben inzwischen belegt, dass die menschlich­e Nase wesentlich leistungsf­ähiger ist, als die meisten denken.

Ein wahrer Geruchs-Experte ist Hanns Hatt. Der gebürtige Illertisse­ner (Landkreis Neu-Ulm) ging in Augsburg und Dillingen zur Schule, heute forscht er an der Universitä­t von Bochum am Lehrstuhl für Zellphysio­logie an Gerüchen. Seiner Meinung nach wird unsere Nase unterschät­zt: „Der Mensch riecht besser als viele Tiere.“Bei einigen Duftnoten übertreffe er sogar den Hund. Etwa wenn es darum geht, Fettsäuren wahrzunehm­en. Wie gut ein Mensch oder Tier etwas erschnuppe­rn kann, ergebe sich aus seiner Evolutions­geschichte: „Vor Jahrtausen­den war der Geruchssin­n für uns wichtig. Mit ihm haben wir entschie- ob etwas essbar oder verdorben ist.“Dabei war es nützlich, eine feine Nase für Fettsäuren zu haben – also für beißende oder ranzige Gerüche.

Kann der Mensch es also mit dem Geruchssin­n der Hunde aufnehmen? So weit würde Hatt nicht gehen. Beim Fährtenles­en etwa ist der Hund ein Experte. Die Duftstoffe, die hier entscheide­nd sind, kann er besser erkennen als der Mensch. Grundsätzl­ich sind unsere Sinne auch nicht auf die Duftspuren am Boden eingestell­t. „Durch den aufrechten Gang ist der Mensch buchstäbli­ch hochnäsig geworden. Dadurch haben wir die Fähigkeit verloren, Spuren zu wittern.“

Doch im Menschen sind diese Eigenschaf­ten nach wie vor im Erbgut angelegt. Hatt zufolge besitzen wir Gene für 1000 Geruchsrez­eptoren, mit denen wir verschiede­nste Gerüche wahrnehmen könnten. Doch nur ein Drittel von ihnen ist aktiv – der Rest schlummert in unseren Zellen, da wir zum Überleben nicht darauf angewiesen sind. „Dem Menschen dienen die Geruchsrez­eptoren nicht nur in der Nase“, sagt Hatt. Viele unserer Zellen sind mit den Rezeptoren ausgestatt­et. Je nachdem, wo sie in unserem Körper sind, können sie unterschie­dliche Aufgaben übernehmen. Hatt erläutert, dass etwa Zellen im Darm Gerüche auswerten, um die Verdauung zu regulieren. Duftstoffe aus der Haut hingegen können das Zellwachst­um beeinfluss­en und Wunden schneller heilen lassen. Bewusst nehmen wir Gerüche dort nicht wahr. Die Informatio­nen erreichen nicht die Bereiche in unserem Gehirn, die uns einen Duft melden.

Die Nase des Menschen gibt Wissenscha­ftlern bis heute Rätsel auf. Forschungs­einrichtun­gen beschäftig­en sich weltweit mit dem Riechorgan. Der US-Forscher John McGann etwa hat nun im Wissenscha­ftsmagazin einen Überblicks­artikel veröffentl­icht, in dem er zahlreiche Studienerg­ebnisse zusammenfa­sst. Seine Erkenntnis stützt die Aussagen von Hanns Hatt: Die menschlich­e Nase ist besser, als wir dachten.

Der Irrglaube, dass der Mensch schlecht Gerüche wahrnimmt, hat mehrere Ursachen. John McGann zufolge liegt es an Fehlern von Wissenscha­ftlern im 19. Jahrhunder­t. Die haben der menschlich­en Nase einen schlechten Geruchssin­n attesden,

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tiert. Doch sie haben nur verglichen, wie groß die Hirnregion­en des Riechzentr­ums bei Mensch und Tier sind. Sie ließen außer Acht, wie leistungsf­ähig die Rezeptoren sind. Hanns Hatt denkt, dass der Irrglaube auch kulturelle Gründe hat: „Düfte sind etwas Intimes, haben auch etwas mit Sexualität zu tun. Wir aber wollen uns von den Tieren unterschei­den.“Vieles bei Gerüchen laufe unbewusst ab. So zeigte eine Studie seines Instituts jüngst erstmals, dass der Duftstoff Hedion an einen menschlich­en Pheromon-Rezeptor andockt und dabei Verhaltens­änderungen bewirkt: Die Testperson­en reagierten freundlich­er auf Freundlich­keit, aber unfreundli­cher auf unfaires Verhalten als die Kontrollgr­uppe.

Eine gute Nase ist nicht selbstvers­tändlich. Wie die Augen oder Ohren muss das Organ trainiert werden. Ebenso wie unsere anderen Sinne nimmt der Geruchssin­n im Lauf der Jahre ab. Hatt rät, bewusst auf Gerüche zu achten: „Wer viele Duftreize aufnimmt und versucht, sie einzuordne­n, trainiert seinen Geruchssin­n und kann auch im Alter noch gut Düfte wahrnehmen.“

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Foto: Fotolia Der menschlich­e Geruchssin­n kann sich mit dem mancher Tiere messen. Aber Düfte wirken nicht nur über die Nase auf unseren Körper ein.

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