Landsberger Tagblatt

Der Donnerstag ist sein Schraubert­ag

Georg Kaiser aus Utting restaurier­t Vespas. Wie es dazu kam und was es für ihn bedeutet

- VON STEPHANIE MILLONIG

Utting Ein dunkles Blechteil, rau überzogen mit Rostschutz­farbe, lässt nur entfernt erkennen, worum es sich handelt: Den Korpus einer Vespa. „Das wird was Schönes“, sagt Georg Kaiser, „das ist eine Vespa 50 N 2 von 1966. Als Vorsitzend­er des TSV Utting kennen viele den 56-Jährigen, oder als Inhaber der gleichnami­gen Haustechni­kfirma. Jeden Donnerstag ist er jedoch in der Garage unter seinem Haus zu finden, beschäftig­t mit einem oder mehreren Rollern. „Der Donnerstag ist mein Schraubert­ag.“

Eigentlich ist seine Frau Sabine schuld: „Wir brauchen eine Vespa“, stellte sie vor einigen Jahren nach dem Besuch des Kinofilms „Pünktchen und Anton“fest. Denn da wurde mit einem derartigen Roller vorgefahre­n. „Ich hab’ dann eine dunkelrote ’PK 125 XL’ in Windach gekauft“, erzählt Kaiser. Es sei damals jedoch schwierig gewesen, jemanden zu finden, der so eine Vespa wieder herrichtet. Also machte sich Georg Kaiser selbst daran: Wie jeder, der auf dem Land aufwuchs – Kaiser am Rand von München und in Windach –, hatte auch er als Jugendlich­er an Mofas herumgesch­raubt. Und wie es sich bei einer Familie mit drei Töchtern ergibt, wurde ein weiterer Roller für die Kinder angeschaff­t, und als die Älteste auszog, musste der nächste Roller her. So wurde Kaiser, der früher eine BMW fuhr, vom „Vespa-Fieber“ergriffen.

Ihn fasziniert, wenn so ein altes Zweirad wieder ein neues Gesicht bekommt. Und so will er auch bei der zweiten auseinande­rgebauten Vespa, die in der Garage steht, versuchen, den Originalzu­stand wieder hinzubekom­men. Wie von Motten zerfressen wirkt das Schutzblec­h fürs Vorderrad, hier hat der Rostfraß zugeschlag­en. Sicherlich könne er ein neues Schutzblec­h beim SIP Scootersho­p kaufen, so Kaiser, es gebe alle Bauteile. „Der Reiz ist aber, es zu versuchen, so Kaiser. Zwei Stunden werde er jetzt daran hinbasteln, die schadhafte Stelle mit der Flex herauszusc­hneiden und ein neues Blech einzupasse­n. „Und dann kann ich sagen, ich habe einen Kotflügel von 1968 eingebaut.“

Kaiser restaurier­t die kleinen italienisc­hen Kultroller, das heißt, er übernimmt die Blech- und Spenglerar­beiten, er spachtelt und macht die Farbgrundi­erung, bringt die Maschinen aber dann zum profession­ellen Lackierer. „Der Motor wird komplett zerlegt, gereinigt und gelagert und ich setze neue Simmerring­e ein“, erzählt der Uttinger. Wenn es um die Straßentüc­htigkeit geht, dann ist jedoch immer eine profession­elle Werkstatt gefragt. „Braucht ein Roller den TÜV, kommt er in eine Werkstatt zum Drüberscha­uen.“Kaiser reizt nicht nur das Schrauben und Polieren, es ist auch das Recherchie­ren und Nachforsch­en, wie der Roller ursprüngli­ch aussah – und damit das Eintauchen in die weltweite VespaCommu­nity. Vor gut einem Jahr habe er eine „VBB 150, Baujahr 1963“im Internet ersteigert, als Restaurati­onsobjekt. Bei dieser habe die Rahmennumm­er nicht zum Modell gepasst. Also fragte Kaiser beim Verkäufer nach, und es stellte sich raus, dass die VBB aus Asien importiert wurde, „Afghan“war auf den Frachtbrie­fen zu lesen.

Auf einer Scooter-Seite im Internet schilderte Kaiser sein Problem, und ein Chatpartne­r konnte ihm weiterhelf­en: Der Stempel sei von einem Vespahändl­er aus Pakistan namens Tanvir Afghan. Kaiser nahm Kontakt auf, und dem Pakistani – einem Piloten, der selbst dem Vespafiebe­r anheimgefa­llen ist – war die Sache mit der falschen Rahaber mennummer sehr peinlich. Er sicherte dem Uttinger eine weitere Vespa als Geschenk zu und beide sind seitdem in Mailkontak­t. Kaiser hätte gerne Archäologi­e studiert, und ein wenig kommt diese Suche nach dem richtigen Urzustand dieser Leidenscha­ft nahe, dem Forschen, was einst war. Er wälzt Literatur, um die Zweiräder möglichst originalge­treu nachzubild­en.

Beruflich setzt sich der Familienva­ter eher mit Zukunftste­chnologien wie der Fotovoltai­k auseinande­r. „Meine Arbeit in der Firma macht schon Spaß, sie ist fokussiert auf die Zukunft, beim Vesparesta­urieren geht es ums Forschen, wie war’s damals.“Außerdem gehe es bei der Vespa um Ästhetik, was bei einer Solaranlag­e weniger der Fall sei. So gönnt sich Kaiser bewusst einen Tag in der Woche, um sich seinen Rollern – mittlerwei­le 27 Stück – zu widmen. Sich neben der Firma noch Zeit für ein Ehrenamt zu nehmen, dem Vorsitz des TSV Utting, zu nehmen, hat Kaiser freilich schon in den vergangene­n neun Jahren gelernt. Hier sei es durch den Umbau des Vorstands, das heißt, einer Erweiterun­g um eine Gebäudever­waltung und einen dauerhafte­n Festaussch­luss gelungen, Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen, sodass die Belastung für jeden tragbar ist. „Der TSV ist eine absolut positive Arbeit.“

Und Kaiser scheut auch nicht vor einem noch weitergehe­nden Schritt zurück: Er will in absehbarer Zeit die Technische Leitung im Unternehme­n an zwei Gesellscha­fter übergeben. „Es sind zwei Meister im Alter von 26 und 30 Jahren, die menschlich und fachlich qualifizie­rt sind.“Beide hätten genau das richtige Alter, er selbst habe mit 25 Jahren sein Unternehme­n gegründet und sei nun 31 Jahre selbststän­dig. Er selbst werde nur noch als Gesellscha­fter der GmbH und Berater tätig sein, die jüngste Tochter wolle aber nach ihrem BWL-Master ins Unternehme­n einsteigen.

So bleibt mehr Zeit für Kaisers kleine Rollerfirm­a „Vespa vom See, VVS“mit der Vespa samt Segel als Logo, das auch seine Latzhose ziert. Er handelt und vermittelt Roller. Beim Restaurier­en lässt sich kaum etwas verdienen, wobei es für Kaiser nicht ums Geldverdie­nen geht. „Das Werden ist so schön“, schwärmt er vom Basteln an den Zweirädern. Und es falle schwer, das schöne Teil herzugeben. Aber man kann Vespas auch sammeln – als Wertanlage. Kaiser will auch dem Vespaclub Utting beitreten, einer Gruppe von Rollerfans, die Ausfahrten organisier­en. Ein Alltagsver­kehrsmitte­l sind die restaurier­ten Maschinen für Kaiser nicht, höchstens mal, um zur Eisdiele zu fahren. Und er freut sich auf die nächste Lieferung mit einem seltenen Modell: „Da ist was Besonderes darunter, eine Sprint Veloce 150 von 1976.“

 ?? Fotos: Thorsten Jordan ?? Georg Kaiser sammelt und restaurier­t alte Vespas. Jeden Donnerstag verschwind­et er in seiner Werkstatt und widmet sich den kultigen Zweirädern. Im Bild arbeitet er gerade an einer Vespa DH 50 XL (Baujahr 1990).
Fotos: Thorsten Jordan Georg Kaiser sammelt und restaurier­t alte Vespas. Jeden Donnerstag verschwind­et er in seiner Werkstatt und widmet sich den kultigen Zweirädern. Im Bild arbeitet er gerade an einer Vespa DH 50 XL (Baujahr 1990).
 ??  ?? Aus dem Baujahr 1986 stammt die feuerrote Vespa PK 50 XL.
Aus dem Baujahr 1986 stammt die feuerrote Vespa PK 50 XL.
 ??  ?? Ein ganzer „Stall“voller Roller.
Ein ganzer „Stall“voller Roller.

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