Gibt es Gleichheit nur nach dem Krieg?
Soziale Gerechtigkeit ist das Thema der Stunde. Doch wann kommt sie zustande? Der Historiker Walter Scheidel aus Österreich hat in der Geschichte gewühlt. Seine Befunde sind erschütternd
Herr Scheidel, Sie leben seit 18 Jahren in den Vereinigten Staaten. Seit fast vier Monaten regiert dort Donald Trump, der selbst ernannte Anwalt der kleinen Leute. Geht es in Amerika nun gerechter zu?
Walter Scheidel: Bisher hat sich nichts Wesentliches geändert. Noch hat Trump keine seiner großen Vorhaben durch den Kongress gebracht. Würden seine Pläne wie die Gesundheitsoder Steuerreform Gesetz werden, würde das die Ungleichheit aber eher verschärfen als lindern. gen Programmen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen zustimmen? Schwer zu sagen. Allerdings sind auch Wachstumsraten von vier Prozent, wie sie Verfechter von mehr Deregulierung und weniger Staat versprechen, unrealistisch. Vielleicht bringt der technologische Fortschritt künftig mehr Gleichheit. In der Vergangenheit war er aber oft Quelle verstärkter Ungleichheit.
Befürworter von mehr sozialer Gerechtigkeit hätten nach Ihrer Logik also nur zwei Optionen. Entweder finden sie sich mit den aktuellen ungleichen Verhältnissen ab oder sie setzen auf eine Revolution oder einen Krieg. Das erscheint ganz schön bitter, oder?
Ich hoffe, dass niemand auf Kriege, Plagen oder Revolutionen setzt, um mehr Gleichheit zu erreichen. Immerhin hat es der Westen und zunehmend auch der Rest der Welt sehr erfolgreich geschafft, Armut zu bekämpfen. Vielleicht könnten wir mit Ungleichheit leben, solange Frieden herrscht und es weniger Armut gibt. Allerdings sind große Unterschiede zwischen Arm und Reich auf Dauer nur schwer mit demokratischen Prinzipien vereinbar. Deshalb blicke ich mit gemischten Gefühlen in die Zukunft.
Interview: Andreas Baumer
Zur Person Walter Scheidel, 50 und gebürtiger Wiener, unterrichtet Alte Geschichte an der Stanford University in Kalifornien, USA. Sein Buch „The Great Leveler“ist im Januar 2017 er schienen. Eine deutsche Überset zung ist für Herbst 2018 geplant.