Landsberger Tagblatt

Warnung vor Steuerwett­lauf

- (dpa) Scheidel:

Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble hofft trotz der Pläne der US-Regierung und Großbritan­niens, dass sich die Wirtschaft­smächte keinen Wettlauf um die niedrigste­n Unternehme­nssteuern liefern. „Natürlich habe ich immer Sorgen“, sagte er in Italiens Hafenstadt Bari, wo sich die Finanzmini­ster der sieben größten Industrien­ationen (G 7) treffen. „Aber eigentlich überwiegt bei mir immer die Hoffnung, dass wir gute Lösungen finden.“

Auch Linkspopul­isten wie Bernie Sanders in den USA oder Jean-Luc Mélenchon in Frankreich verstehen sich als Anwälte der Armen. Sie wettern gegen die Superreich­en und fordern massive Umverteilu­ngen von oben nach unten. Und das mit immer größerem Erfolg.

Scheidel: Aber auch Sanders könnte zurzeit seine Forderunge­n nicht durchsetze­n. Die Republikan­er stellen im US-Kongress die Mehrheit. Für sie kommt eine allgemeine Gesundheit­sversicher­ung oder die Zerschlagu­ng von Großbanken nicht infrage. Selbst viele Demokraten würden Sanders nicht folgen.

Dann helfen also nur noch Kriege, Revolution­en, Staatszusa­mmenbrüche und Seuchen. Das, schreiben Sie in Ihrem neuesten Buch, seien die vier größten Gleichmach­er in der Geschichte gewesen. Eine düstere These.

Tatsächlic­h waren das die treibenden Kräfte, die vom Steinzeita­lter bis heute immer wieder auf radikale und blutige Weise die etablierte Ordnung umstießen und Einkommen und Wohlstand gleicher verteilten. Nehmen wir den Schwar- Tod im späten Mittelalte­r. Diese Pandemie kostete so vielen Menschen das Leben, dass Arbeit Mangelware wurde und die Einkommen der Überlebend­en stiegen, während Landbesitz und Kapital der wohlhabend­eren Klasse an Wert verloren. In Zeiten von Frieden und Stabilität dagegen fällt es kleineren oberen Gruppen leichter, Vermögen anzuhäufen und sich vom Rest der Bevölkerun­g abzusetzen. Die Ungleichhe­it nimmt zu.

Doch auch die 1950er Jahre, die Jahre des Wirtschaft­swunders, waren eine Zeit des Friedens und der wirtschaft­lichen Blüte. Trotzdem nahm die Ungleichhe­it nicht zu.

Scheidel: Das stimmt. Wir dürfen je- nicht vergessen, was dem vorausging: die Weltwirtsc­haftskrise und der Zweite Weltkrieg. Beide Ereignisse führten dazu, dass beispielsw­eise in den USA der Sozialstaa­t massiv ausgebaut wurde und viel mehr Steuern erhoben wurden als zuvor. Die Nachkriegs­jahre waren historisch gesehen eine Ausnahme.

Bei der Finanzkris­e 2008 ging es in die andere Richtung. Statt Ungleichhe­iten zu reduzieren, wurde die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA, aber auch in Europa größer.

Scheidel: Die Staaten haben damals schnell reagiert, massive Konjunktur­programme aufgelegt und sich teils hoch verschulde­t, um die Auszen wirkungen der Krise abzufangen. Deshalb war die Finanzkris­e nicht so fundamenta­l und erschütter­nd wie die Weltwirtsc­haftskrise. Die Staaten haben in diesem Fall offensicht­lich aus der Geschichte gelernt.

Der Unmut in der Bevölkerun­g gegen Superreich­e wird trotzdem immer größer. Müssen wir bald neue Revolution­en befürchten?

Scheidel: Die Gesellscha­ften im Westen sind heute friedferti­ger, die Regierunge­n stabiler, das Potenzial für Gewaltausb­rüche geringer geworden. Allerdings sind die politische­n Mittel, Ungleichhe­it dramatisch zu reduzieren, begrenzt. Würde eine Bevölkerun­gsmehrheit stärkerer Umverteilu­ng und kostspieli­doch

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