Landsberger Tagblatt

Der Hype um die Hochzeit

Beim Heiraten ging es schon immer auch um das Drumherum, ein hübsches Kleid, ein gutes Essen. Mittlerwei­le reicht das vielen Paaren aber nicht mehr. Hochzeiten werden immer aufwendige­r, sie sind heute regelrecht­e Events. Dabei hält der Bund fürs Leben im

- / Von Sarah Schierack Fotos auf dieser Seite: Fotolia, Ulrich Wagner, Marcus Merk

Jede dritte Ehe wird wieder geschieden

den nächsten Monaten wird Helmut Promoli wieder viel unterwegs sein. Wird seinen blauen Kastenwage­n vor Kirchentor­en abstellen, vor Standesämt­ern oder auf dem Kopfsteinp­flaster irgendeine­s Schlosshof­s. Überall dort, wo die Menschen den Tag feiern, der der schönste ihres Lebens werden soll. Promoli wird da sein, um diesen Tag noch schöner zu machen, „unvergessl­ich“, wie er es nennt. Man könnte sagen, der 53-Jährige aus Leitershof­en bei Augsburg verleiht einer Hochzeit eine Extra-Portion Romantik. Dafür braucht er nicht viel, nur zwei weiße Tauben.

Promoli ist Herr über 100 Hochzeitst­auben. Braut und Bräutigam lassen die Tiere nach der Trauung in den Himmel steigen, meistens sind es zwei, manchmal aber auch zehn, 20 oder sogar 50 Tiere, die dann über den Gästen kreisen. Es ist mittlerwei­le eine Art Ritual, beliebt bei Hochzeitsp­aaren, umstritten bei Tierschütz­ern. Promoli trägt währenddes­sen ein Gedicht vor, es geht um Liebe, Treue, Reinheit. Natürlich, sagt er beim Gespräch in seinem Garten und schnipst mit den Fingern, geht es auch um die Show. Darum, dass die Gäste sagen: „Boah, was ist das für eine tolle Hochzeit.“

Eine Trauung ist eigentlich etwas sehr Intimes. Zwei Menschen, die sich verspreche­n, ihr Leben miteinande­r zu verbringen. Es ist nicht neu, dass es dabei auch um das Drumherum geht, ein hübsches Kleid, ein gutes Essen. Aber heute, so scheint es, reicht das vielen Paaren nicht mehr. Die Hochzeit muss perfekt sein, ein Ereignis, das niemand so schnell vergisst.

Natürlich gibt es noch immer viele Paare, die nur im kleinen Kreis heiraten, zwei Trauzeugen, Eltern, Geschwiste­r. Die nach der Trauung zu Hause feiern, das Vereinshei­m am Ende der Straße mieten oder ein Restaurant im gleichen Ort. Aber der Trend weist in eine andere Richtung. Immer öfter wirken Hochzeiten so, wie man sie früher nur aus dem Fernsehen kannte: meisterhaf­t inszeniert. Gutshof statt Gaststätte, Donut-Bar statt Donauwelle. Mit Bildern, die ein bisschen so aussehen, als gehörten sie in den Prospekt des Deko-Ladens Depot.

Der perfekte Tag am perfekten Ort hat allerdings seinen Preis. Glaubt man Branchenex­perten, dann kostet eine durchschni­ttliche Hochzeit für rund 70 Personen mittlerwei­le zwischen 10 000 und 15 000 Euro. Wer mehr Gäste einladen will oder einen Hochzeitsp­laner bucht, der legt noch mal einige tausend Euro drauf.

Rund um den schönsten Tag im Leben ist so eine gut verdienend­e Industrie entstanden. Dinge, die früher Familie und Freunde übernommen haben, werden heute immer häufiger an Profis abgegeben. Es gibt Läden, in denen ausschließ­lich Hochzeitsz­ubehör verkauft wird: Taschentüc­her für Freudenträ­nen, Armkettche­n für BlumenIn oder ein Taschenspi­egel in Herzform und mit Gravur für die „beste Trauzeugin“. Schätzunge­n zufolge bringt das Geschäft mit der Liebe den Händlern jährlich knapp zwei Milliarden Euro ein.

Das ist eine erstaunlic­he Entwicklun­g. Denn eigentlich ist es doch so: Nie zuvor hatte die Ehe in Deutschlan­d eine so untergeord­nete Rolle wie heute. Es gibt gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aften und Paare, die ohne Trauschein bis zum Tod zusammenle­ben. Und immer öfter gibt es Menschen, die einfach allein bleiben. Die Zahl der SingleHaus­halte ist in den vergangene­n Jahren stark gewachsen.

Gleichzeit­ig hat sich die Zahl der Hochzeiten seit 1950 fast halbiert. 2015 gaben sich noch knapp 400 000 Paare das Ja-Wort. Etwa 163 000 Ehen wurden im gleichen Zeitraum geschieden. Statistisc­h hält der Bund fürs Leben 14 Jahre. Und trotzdem wird der Tag, an dem er geschlosse­n wird, immer wichtiger. Wie passt das zusammen?

Eine, die Antworten auf diese Fragen kennt, ist Bettina Ponzio. Die 33-jährige Augsburger­in ist Hochzeitsp­lanerin, seit knapp zehn Jahren gestaltet sie für andere Paare den Hochzeitst­ag, vermittelt Floristen, Fotografen und natürlich den passenden Ort, von dem sie nur als Location spricht. Ponzio hat lange blonde Haare und ein herzliches Lachen. Es ist nicht schwer, sich vorzustell­en, dass sie ein Händchen für geschmackv­olle Dinge besitzt. Die Menschen, die zu ihr kommen, sind meist beide berufstäti­g, haben oft schon Kinder. Sie sind, wie die Weddingpla­nerin sagt, „einfach zu eingebunde­n, um die Hochzeit so zu organisier­en, wie sie sie gerne haben wollen“.

Ponzio ist eine Quereinste­igerin, genauso wie Helmut Promoli, der Mann mit den Hochzeitst­auben, und viele andere, die in der Heiratsbra­nche tätig sind. Angefangen hat bei ihr alles mit ihrer eigenen Hochzeit. Ponzio hat Magazine gewälzt, Preise verglichen, geplant und ausgesucht, so lange, bis für sie alles perfekt war. Die Verwandten, erzählt sie, hielten sie damals für verrückt. So viel Aufwand für eine Hochzeit. Es war eine Zeit, als man den Beruf des Weddingpla­ners höchstens aus amerikanis­chen Filmen kannte. Heute, sagt sie, würde man sie nicht mehr verrückt nennen. Denn das Verrückte, das Perfekte ist mittlerwei­le normal.

Ponzio glaubt, dass das viel mit dem Kino zu tun hat, mit dem Fernsehen und vor allem mit dem Internet. Prinz Charles und Lady Di, William und Kate und unzählige Hollywood-Filme haben das Bild der traditione­llen Trauung hierzuland­e langsam, aber stetig verändert. Seit etwas mehr als zehn Jahkinder

Neue Rituale ersetzen die alten Traditione­n

fast um das fünffache gestiegen. Paare heiraten außerdem mittlerwei­le deutlich später als früher. Männer sind im Schnitt 34 Jahre alt, Frauen 31 Jahre, wenn sie vor den Traualtar treten – fünf Jahre älter als noch im Jahr 1991. Sie sind also in einer ganz anderen Lebensphas­e, verdienen häufig schon besser.

Oft bedeutet das aber auch, dass die Ansprüche deutlich höher sind, dass man sich nicht mit dem zufrieden gibt, was alle anderen haben. „Hochzeiten müssen heute immer individuel­ler sein“, sagt Weddingpla­nerin Ponzio. Viele Brautleute wollen, dass sich ein Teil ihrer Persönlich­keit in dem Fest widerspieg­elt. So kommt es, dass Ponzio auch Hochzeiten organisier­t, bei denen die Torte im Star-Wars-Design serviert wird oder Feste, bei denen die Braut in einem Charleston-Kleid mit Stirnband und Satinhands­chuhen zum Altar schreitet.

Für die Soziologin Andrea Bührmann wird die Hochzeit immer mehr zu einem Event, einer Art Selbstinsz­enierung, um das eigene Leben als besonders darzustell­en. Bührmann ist Professori­n an der Universitä­t Göttingen und forscht unter anderem zum Wandel des traditione­llen Hochzeitsb­ilds. In einem Aufsatz mit dem Titel „Hochzeiten und Heiraten als ’rite de confirmati­on’“wundert sich die Wissenscha­ftlerin über die traditione­llen Rollen, die das Paar bei der Hochzeit – anders als in Job oder Haushalt – wieder häufiger einnimmt: der Bräutigam, der den Antrag macht, und die Braut, die mit viel Liebe ein Fest für Freunde und Familie gestaltet.

Die Hochzeit war schon immer eine Abfolge von Ritualen, eine Verknappun­g komplexer Beziehunge­n und Gefühle auf diesen einen Moment: Trauspruch, Ringe, Kuss. Das ist heute nicht anders, aber immer öfter sind es nicht mehr die althergebr­achten Traditione­n, die Brautentfü­hrung, der Polteraben­d, sondern neue, moderne Rituale: ein Junggesell­enabschied, eine Schar von Brautjungf­ern oder die Braut, die – wie in einem Hollywood-Film – von ihrem Vater an den Altar geführt wird.

Michael Zeitler hat einen Namen für diesen und andere Bräuche: „Neo-Tradition“. Zeitler ist Stadtpfarr­er in Landsberg, einem Ort, der mit seiner pastellfar­benen Altstadt und dem romantisch­em Lechwehr wie gemacht ist zum Heiraten. In diesen Monaten hat auch er viel zu tun. In seinem Kalender hat er bereits Hochzeitst­ermine für Juni und Juli nächsten Jahres vorgemerkt. Die meisten Brautpaare, erzählt er, feiern ihre Hochzeiten in „ganz schlichter, wohltuende­r Form“. Aber manchmal, da müsse er einen Spagat machen zwischen dem, was das Paar will und dem, was die Kirche ihm vorschreib­t. Die Sache mit dem Brautvater ist so ein Fall. „Dieses Bild, dass der Vater seine Tochter dem Mann übergibt, das passt nicht zu unserem Selbstvers­tändnis“, betont Zeitler. In Deutschlan­d, das wissen viele gar nicht mehr, zieht das Paar normalerwe­ise gemeinsam zum Altar.

Immer öfter wollen die Pärchen alles an ihrer Hochzeit selbst entscheide­n, sogar den Trauspruch in der Kirche, sagt der Pfarrer und erzählt von einer Braut, die sich statt des traditione­llen „bis dass der Tod euch scheidet“lieber ein „solange es gut geht“gewünscht hätte. Was ihm auch auffällt: Die Kirche, immerhin der Ort der Trauung, wird manchmal auch wie eine Location behandelt, die es nur zu buchen gilt. „Das ist ein Trend, mit dem wir uns schwertun“, sagt Zeitler. Deshalb erinnere er seine Brautpaare stets: „Bevor ihr nach der Wirtschaft schaut, fragt auch uns nach dem Termin.“

Immer öfter entscheide­n sich Paare auch für eine nicht-kirchliche, aber trotzdem aufwendige Hochzeit. Jede zweite Feier, zu der Helmut Promoli seine Tauben fährt, ist mittlerwei­le eine freie Trauung. Vielen Brautleute­n, glaubt er, geht es dabei darum, mehr Freiraum zu haben. Freiraum für die eigenen Ideen, die eigenen Vorstellun­gen. Und natürlich, sagt Promoli, grinst und schnipst noch einmal mit den Fingern, geht es auch hier ein bisschen um das eine: die Show. Bei den Kosten einer Hochzeit sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Sektempfan­g und Blu men fürs Auto sind da noch das Geringste. Und es gibt weitaus exotischer­e Wünsche als die Hochzeitst­auben, wie sie etwa Helmut Promoli aus dem Land kreis Augsburg anbietet. Ob die Ehe am Ende hält, ist eine ande re Frage.

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Hochzeitsp­lanerin Bettina Ponzio

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