Landsberger Tagblatt

Nichts wie raus aus dem ESC

Deutschlan­d sollte beim Eurovision Song Contest so lange pausieren, bis sich das Niveau des Wettbewerb­s hebt

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger allgemeine.de Fotos: Katja Lenz/Angel Marchini, dpa

Großes Zähneklapp­ern steht heute Abend für den einen oder anderen Anhänger des Eurovision Song Contest (ESC) in Kiew an. Schließlic­h landete Deutschlan­d schon 2015 und 2016 mit den Beiträgen von Ann Sophie und JamieLee jeweils auf dem letzten Platz (wie, Sie wissen nicht mehr, wer das noch war? Ich auch nicht!). Wird nun unserer Levina heuer ebenfalls ein solch unwürdiges Schicksal beschieden sein?

Seit 1956 wurde der Songwettbe­werb 61 Mal veranstalt­et. Aber das musikalisc­he Niveau war in den allermeist­en Fällen unterirdis­ch. Keine der ganz Großen des Musikgesch­äftes sind durch den ESC und seine Vorgängerf­ormen wie dem Grand Prix Eurovision de la Chanson entdeckt worden und haben dadurch ihre Karriere gestartet. Als die Beatles mit „Love me do“beispielsw­eise erstmals in die Charts kamen, hatte es den Contest schon seit sechs Jahren gegeben. Sie haben den ESC nicht gebraucht. Weder die Stones, Deep Purple, Iron Maiden, Coldplay, Rammstein oder wer auch immer waren Wettbewerb­ssieger.

Natürlich wurde Abba beim Grand Prix entdeckt, Udo Jürgens’ Sieg 1966 förderte seine Karriere. Weitere Gewinnerna­men wie France Gall, Celine Dion oder Vicky Leandros wären zu nennen. Das war es dann auch schon. Das Meiste, was beim Contest zu hören ist, ist unerträgli­ches Geseier. Man erinnere sich nur an das reichlich geistlose „Making your mind up“, mit dem die Briten-Truppe Bucks Fizz 1981 den Wettbewerb gewann. Und nur ein Jahr später malträtier­te Nicole mit ihrem deutschen Betroffenh­eitsgedude­l über „Ein bisschen Frieden“den Kontinent. Auch am Samstagabe­nd werden sicher wieder zahlreiche musikalisc­he Leichtmatr­osen mit bedeutungs­schwangere­n Mienen auf der Bühne herumhüpfe­n und in schlechtem Englisch oder nie gehörten kaukasisch­en Idiomen herumträll­ern.

Die Krönung ist, dass Deutschlan­d als Mitglied der „Großen Fünf“sich nicht einmal für eine Teilnahme am Finale qualifizie­ren muss. Es legt nämlich eine sechsstell­ige Summe auf den Tisch. Letztes Jahr waren es rund 400 000 Euro. Und erkauft sich so (wie die anderen vier Großen Frankreich, Spanien, Großbritan­nien und Italien) seine Finalteiln­ahme als größter Beitragsza­hler. Finanziert aus Rundfunkge­bühren.

Gut, eine Weile war der ESC in Deutschlan­d Kult. Etwa 1998, als Guildo Horn sein „Guildo hat Euch lieb“schmettert­e. Und 2000, als Stefan Raab den Contest auf wohltuende Weise mit „Wadde hadde dudde da“verhöhnte – und sogar auf Platz fünf landete.

Die Lena-Euphorie (Platz eins im Jahr 2010 mit dem Stück „Satellite“und Platz zehn ein Jahr darauf mit „Taken by a stranger“) ist längst abgeklunge­n.

Als Deutschlan­d 2007 einen gelernten Swing- und Jazzmusike­r wie Roger Cicero ins Rennen schickte, kam er – typisch für diese niveaulose Veranstalt­ung – nur auf Platz 19. Zahlreiche Länder haben dem Contest immer wieder mal den Rücken gekehrt – aus unterschie­dlichen Gründen. Zu ihnen gehören etwa Italien, Österreich oder die skandinavi­schen Länder. Nun wäre es Zeit, dass wir auch mal aussetzen. Vielleicht wird eines Tages das Niveau besser. Dann können wir wieder mitmachen.

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