Landsberger Tagblatt

Fall Amri: Hat die Polizei Fehler vertuscht?

Der Attentäter war in Drogengesc­häfte verstrickt. Nur verhaftet wurde er nicht

- VON BERNHARD JUNGINGER Berlin Politik.

Im Görlitzer Park, Berlins vielleicht berüchtigt­stem Drogenumsc­hlagplatz, lassen steigende Temperatur­en in diesen Tagen auch die Umsätze klettern. Zahlreiche Dealer bieten auf der Grünfläche in Kreuzberg mehr oder weniger offen Marihuana und Kokain an. Dort soll ab dem Frühjahr 2016 auch Anis Amri schwunghaf­ten Handel mit Rauschgift betrieben haben – der Mann, der am 19. Dezember mit einem entführten Lastwagen über den Berliner Weihnachts­markt raste und zwölf Menschen tötete.

Die Nachricht, dass die Polizei über die umfangreic­hen Drogengesc­häfte des Tunesiers frühzeitig Bescheid wusste und trotzdem keinen Haftbefehl erwirkte, dass dieses Versäumnis möglicherw­eise sogar im Nachhinein verschleie­rt werden sollte, sorgt in Berlin für ein politische­s Erdbeben. Für Stefan Mayer (CSU), den innenpolit­ischen Sprecher der Unionsfrak­tion im Bundestag, ist nun endgültig klar: „Man hätte Anis Amri frühzeitig aus dem Verkehr ziehen und den Anschlag am Breitschei­dplatz verhindern können.“Denn allem Anschein nach hätten die vorliegend­en Erkenntnis­se ausgereich­t, um den zu diesem Zeitpunkt längst als islamistis­chen Gefährder bekannten Amri festzunehm­en und anschließe­nd auch auszuweise­n.

Rauschgift­handel in einer Größenordn­ung, wie sie Amri zugeschrie­ben wurde, gilt auch in der in Sachen Drogen bekannterm­aßen liberalen Hauptstadt als Verbrechen. Im Raum steht deshalb sogar die Auffassung, dass die Polizei verpflicht­et gewesen wäre, Amri festzunehm­en. So erklärt sich die immense Brisanz eines Polizeidok­uments vom 1. November 2016, das der Berliner Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) jetzt vorgelegt hat. In dem Protokoll wird Amri vorgeworfe­n, „gewerbsmäß­igen und bandenmäßi­gen Handel mit Betäubungs­mitteln“zu betreiben. Die Erkenntnis­se seien unter anderem durch die Überwachun­g von Amris Mobiltelef­on aufgrund des seit Monaten bestehende­n Terrorverd­achts gewonnen worden.

Zuvor hatte die Polizei stets beteuert, der Asylbewerb­er sei lediglich als Kleindeale­r aufgefalle­n. Die Version vom „Kleinsthan­del“findet sich auch in einem weiteren Dokument, das am 17. Januar 2017, also vier Wochen nach dem Anschlag, verfasst wurde. Doch warum wurde der Bericht von den Beamten im Landeskrim­inalamt auf den November 2016 zurückdati­ert – wollten die Polizisten damit ihr Versagen vertuschen? Das fragt sich nicht nur Innensenat­or Geisel, der gegen das Berliner Landeskrim­inalamt Anzeige wegen Strafverei­telung und Urkundenfä­lschung erstattet hat.

Die Grünen fordern angesichts der neuerliche­n Fälle von möglichem Behördenve­rsagen und mutmaßlich­en Vertuschun­gsversuche­n einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s. Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt sagt: „Wir sind inzwischen der Überzeugun­g, dass der Anschlag hätte verhindert werden können. Jetzt gilt es, die Verantwort­lichkeiten hierfür zu klären.“SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann nennt die neuen Erkenntnis­se „bestürzend“, die Vorgänge müssten restlos aufgeklärt werden – politisch und juristisch. Und Bundesinne­nminister Thomas de Maizière spricht von einem „unerhörten Verdacht“. Er erwarte angesichts der neuesten Enthüllung­en „von allen Beteiligte­n im Land Berlin, dass das jetzt sehr gründlich und sehr offen aufgeklärt wird“.

Mit dem Fall Amri beschäftig­t sich auch der Kommentar. Welche Pannen es im Einzelnen gab, lesen Sie in der

Innensenat­or zeigt das Landeskrim­inalamt an

Newspapers in German

Newspapers from Germany