Landsberger Tagblatt

Berlin bremst beim Familienna­chzug

CSU-Experte Mayer warnt: 450 000 Flüchtling­e können schon jetzt Angehörige nachkommen lassen. Ändert die Koalition deshalb vorsichtig ihren Kurs?

- VON BERNHARD JUNGINGER UND RUDI WAIS

Union und SPD schränken vor der Wahl den Familienna­chzug von Flüchtling­en ein. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksparte­i spricht das Innenminis­terium jetzt von „teilweise begrenzten Betreuungs­und Unterbring­ungskapazi­täten“. Daher sei die griechisch­e Regierung um eine „engere Abstimmung“und um „mögliche Verfristun­gen“, also um einen zeitlichen Aufschub, gebeten worden. Nach Angaben der Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl warten alleine in Griechenla­nd noch mehrere Tausend Angehörige von in Deutschlan­d lebenden Flüchtling­en, darunter viele Frauen und Kinder sowie unbegleite­te Minderjähr­ige.

Trotzdem wird die Zahl der Angehörige­n, die Flüchtling­en nach Deutschlan­d folgen, in den kommenden Jahren kräftig steigen. Im vergangene­n Jahr hat das Auswärtige Amt nach eigenen Angaben etwa 105000 Visa für den Familienna­chzug ausgestell­t, das sind 30 000 mehr als noch ein Jahr zuvor. Im ersten Quartal des laufenden Jahres sollen es nach bislang noch unbestätig­ten Angaben rund 32500 sein, hochgerech­net auf ein ganzes Jahr wären das weitere 130000 Zuwanderer.

Vor allem syrische Flüchtling­e holen immer mehr Familienmi­tglieder nach. In der offizielle­n Asylstatis­tik tauchen diese Angehörige­n jedoch nicht auf, da sie selbst keine Asylanträg­e stellen. Insgesamt haben in den vergangene­n beiden Jahren 268 000 Syrer in Deutschlan­d Schutz erhalten und damit einen Anspruch auf Familienna­chzug. Nach einer gängigen Faustregel kommen auf einen Flüchtling rein rechnerisc­h bis zu 1,2 Angehörige, die ihm folgen. Allein aus Syrien wären das noch einmal 320 000 Kinder, Eltern oder Ehepartner, die Deutschlan­d aufnehmen müsste.

Insgesamt könnten im Moment bereits 450 000 anerkannte Flüchtling­e ihre Angehörige­n nachholen, betont der CSU-Innenexper­te Stephan Mayer gegenüber unserer Zeitung. „Schon das stellt unsere Kommunen vor große Herausford­erungen.“Würde das gleiche Recht wie geplant ab März 2018 auch noch den 200 000 Menschen mit vorübergeh­endem subsidiäre­m Schutz gewährt, würde dies „unsere Systeme vollends überforder­n und die Aufnahmeun­d Integratio­nsbereitsc­haft in unserer Bevölkerun­g überstrapa­zieren“. Bei aller Härte für die Betroffene­n, so Mayer, plädiere er daher für eine Verlängeru­ng der bisherigen Regelung, nach der subsidiär Schutzbedü­rftige keine Angehörige­n nachholen dürfen.

Aufgrund einer EU-Vereinbaru­ng hat die Bundesregi­erung bisher jeden Monat etwa 500 Flüchtling­e in Charterflü­gen aus Griechenla­nd aufgenomme­n. Dabei spielt bei der Auswahl nach Auskunft des Innenminis­terium „häufig die Frage familiärer Beziehunge­n eine große Rolle“. Es handle sich aber um kein spezielles Programm zur Familienzu­sammenführ­ung, sondern um eine Unterstütz­ung für die besonders stark betroffene­n Länder Griechenla­nd und Italien. Im April wurden danach nur noch 70 Angehörige aufgenomme­n, in den Monaten zuvor waren es teilweise sogar mehr als 500. (mit dpa und afp)

Mit dem Hin und Her beim Familienna­chzug beschäftig­en sich auch der Kommentar und ein Hintergrun­dbericht in der Politik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany