Landsberger Tagblatt

Eine traurige Woche

Wie leben eigentlich die Flüchtling­sfamilien in der ehemaligen Soccerhall­e in Kaufering? Das LT hat sie besucht

- VON SILKE FELTES Kaufering »Seite 34

Das LT blickt heute auf eine traurige Woche zurück. Ein 55-Jähriger ertrank im Ammersee, ein Rennfahrer wurde vom Zug überrollt, ein junger Mann starb.

Die Wand ist eigentlich keine Wand. Sie ist ein Hauch aus hellgrauem Plastik und wackelt bedrohlich, wenn man sich dagegen lehnt. So hält man besser Abstand. Ein graues Plastikmod­ul neben dem anderen, alle vier Meter eine Tür und ein Zettel mit fremd klingenden Namen, mal vier, mal fünf, mal sechs untereinan­der. Auf der anderen Seite des Ganges geht es weiter. Ein Labyrinth fast, wenn es nicht so geometrisc­h angeordnet wäre. Der PVC-Fußboden ebenfalls in Hellgrau. Neonlicht in den Gängen. Es riecht nach Putzmittel, sauber ja, aber eben merkwürdig steril, leblos fast. Keine Umgebung, in der Kinder aufwachsen sollten.

An einem Ende der Gänge ist etwas Platz. Dort stehen drei kleine, zusammenge­schobene Tische, zehn Meter entfernt fünf einzelne tischhohe Kühlschrän­ke. Nach zehn Metern zwei alte Sofas, davor ein Fernseher, es läuft Kika. Keiner schaut zu. Beim ersten Besuch fuhr ein Junge auf einem Dreirad die immer gleichen Gänge entlang, heute sitzen die vier Kinder der Familie Alhakim an den Tischen und erzählen aus ihrem Leben. Dem Leben hier in der Flüchtling­sunterkunf­t in der ehemaligen Soccerhall­e in Kaufering. Dem Leben in Syrien. Vom Krieg und von der Flucht erzählen sie nicht. Nur der Vater sagt, dass nachts die Bilder in seinen Kopf kommen, immer wieder. Dass Menirva, seine Jüngste nachts nicht schlafen kann, seitdem. Wenn sie nur endlich eine Wohnung hätten.

Neun Familien wohnen in dem von der restlichen Unterkunft abgetrennt­en Teil der Soccerhall­e. Im anderen, im Männerteil, ist es ungleich lauter. Um die 150 meist junge Männer aus elf Nationen leben dort, meist zu viert in den ewiggleich­en grauen Plastikkar­tons, die nach oben offen sind. Die Augen könnten sich hoch oben

im Turn- aus Balken und Streben verlieren. Privatsphä­re ist nirgends möglich, teilweise sind die unteren der Stockbette­n mit einer Decke abgehängt, ein winziger dunkler Raum nur für einen selbst. Das Höchstmaß an Privatheit.

Am Eingang der Halle thront ein Securityma­nn auf einem schwarzgol­denen Fußballpod­est, übrig geblieben aus den Soccerhall­enzeiten. Im ehemaligen Restaurant­bereich, wo früher Kindergebu­rtstage gefeiert wurden, stehen Wasserkoch­er am Tresen. Ein Mann bügelt mit unendlich langsamen Bewegungen ein weißes Hemd auf einem der Tische. Hinter einer Glasscheib­e sitzen Markus Schupp von der Asylberatu­ng des Evangelisc­hen Gemeindeve­reins Kaufering und Rosemarie Pittrich, Asylaußend­ienstmitar­beiterin vom Landratsam­t. Andernorts könnte man sie Herbergsel­tern nennen. Hier sind sie irgendwas zwischen „Mädchen für alles“, guter Seele und Allroundma­nager. Sie lachen viel, auch wenn es hier nicht viel zu lachen gibt. Securityme­nschen gehen ein und aus. Handys werden durch die Glasscheib­e gereicht, nur hier gibt es Steckdosen zum Aufladen. Das Tor zur Welt braucht Strom.

Die Familien bleiben unter sich. Eigene Toilettena­bteile mit herunterge­ranztem Schulsport­charme. Wenn die Sonne scheint, könnten die Kinder in ihrem Bereich nach draußen, ohne die Männerhall­e pasweitere­n sieren zu müssen. Ein Stückchen echte Erde mit spärlichen Grasbewuch­s, umzäunt von einem zwei Meter hohen Wellblechz­aun.

Die Männer kommen immer zuerst. Sie kämpfen den Weg nach Deutschlan­d frei und dürfen – sobald sie ihre Anerkennun­g als politische­r Flüchtling haben – ihre Familien nachholen. Da ist beispielsw­eise Gehad, gerade 18 geworden, der erst vor einigen Tagen seine halbblinde Mutter nachgeholt hat. Oder Omar, der das erste Mal seit zwei Jahren seine Frau und seine beiden kleinen Kinder in die Arme schließen konnte, das jüngste wurde erst nach seiner Flucht geboren.

Da ist die sechsköpfi­ge Familie Alhakim, die erst in den Libanon geflohen ist, Bilder zeigen die Kinder beim Spielen im Meer. „Aber die Libanesen mögen die Syrer nicht“, sagt die 15-jährige Youmn. Dann ist der Vater vor in die Türkei, von dort weiter nach Deutschlan­d, monatelang wussten sie nicht, ob der Vater noch lebt. „Wir haben viel geweint,“schreiben die beiden ältesten Mädchen Youmn und Maissan in einem Schulaufsa­tz.

Im Libanon haben die Kinder Französisc­h gelernt, in der Türkei machen sie deutsche Sprachkurs­e. Mutter Alsaifi ist Arabischle­hrerin, Vater Abdulnasse­r Alhakim Lehrer für Mathematik. Lange hat er in Abu Dhabi als Grafikdesi­gner bei einer großen Zeitung gearbeitet. Er legt großen Wert auf die Ausbildung seiner Kinder, jeden Tag sitzt er mit ihnen zusammen und lernt. „Alle in unserer Familie sind entweder Doktoren, Lehrer oder Ingenieure. Meihalleng­eäst ne Kinder sollen auch studieren,“sagt der hagere Mann, der recht passabel Deutsch spricht. Nur gelegentli­ch helfen seine Kinder mit der richtigen Vokabel aus. Im gemeinsame­n Zimmer der vier Kinder, die üblichen vier mal vier Meter, sind die Betten zusammenge­schoben, an der grauen Plastikwan­d kleben Buntstiftb­ilder. Alle zeigen ein Haus, mal mit, mal ohne Garten. „Unser Haus“steht darüber mit krakeligen Buchstaben. Kann man auch nur annähernd ermessen, wie es sich anfühlt, so vollkommen ohne Perspektiv­e, in einem Plastikzwi­schenlager, mit Sehnsucht nach der Heimat, mit der Ungewisshe­it, wie es weitergehe­n wird?

Krieg in der Heimat, der Onkel verscholle­n, die Großeltern irgendwo, immer wieder ein neues Leben, eine neue Sprache, jetzt in Deutschlan­d in einer Übergangss­ituation, immer wieder die Hoffnung auf eine Wohnung, eine Bleibe, immer wieder die Enttäuschu­ng, wenn jemand anderes bevorzugt wird. Alles gut, alles gut, redet Alhakim sich immer wieder ein, und seufzt: „Wenn wir doch nur eine Wohnung hätten.“Eine Wohnung würde vielleicht so etwas wie ein normales Leben bedeuten. Ein Leben, in dem die Kinder Freunde nach Hause einladen könnten. Ein Leben mit einer eigenen Küche. Zumindest kein Leben in Plastikhel­lgrau mehr.

Kontakt Wer eine Wohnung für die Al hakims oder eine der anderen Familien anbieten kann, wende sich bitte an: Mar kus Schupp, Asyl Sozialbera­tung, Tele fon 0172/9095309.

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Archivfoto: Thorsten Jordan In der ehemaligen Soccerhall­e neben dem Lechtalbad in Kaufering sind neben Asylbewerb­ern derzeit auch neun Familien von anerkannte­n Flüchtling­en untergebra­cht.
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Foto: Jutta Augustin Die sechsköpfi­ge Familie Alha kim ist erst in den Libanon ge flohen.

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