Eine traurige Woche
Wie leben eigentlich die Flüchtlingsfamilien in der ehemaligen Soccerhalle in Kaufering? Das LT hat sie besucht
Das LT blickt heute auf eine traurige Woche zurück. Ein 55-Jähriger ertrank im Ammersee, ein Rennfahrer wurde vom Zug überrollt, ein junger Mann starb.
Die Wand ist eigentlich keine Wand. Sie ist ein Hauch aus hellgrauem Plastik und wackelt bedrohlich, wenn man sich dagegen lehnt. So hält man besser Abstand. Ein graues Plastikmodul neben dem anderen, alle vier Meter eine Tür und ein Zettel mit fremd klingenden Namen, mal vier, mal fünf, mal sechs untereinander. Auf der anderen Seite des Ganges geht es weiter. Ein Labyrinth fast, wenn es nicht so geometrisch angeordnet wäre. Der PVC-Fußboden ebenfalls in Hellgrau. Neonlicht in den Gängen. Es riecht nach Putzmittel, sauber ja, aber eben merkwürdig steril, leblos fast. Keine Umgebung, in der Kinder aufwachsen sollten.
An einem Ende der Gänge ist etwas Platz. Dort stehen drei kleine, zusammengeschobene Tische, zehn Meter entfernt fünf einzelne tischhohe Kühlschränke. Nach zehn Metern zwei alte Sofas, davor ein Fernseher, es läuft Kika. Keiner schaut zu. Beim ersten Besuch fuhr ein Junge auf einem Dreirad die immer gleichen Gänge entlang, heute sitzen die vier Kinder der Familie Alhakim an den Tischen und erzählen aus ihrem Leben. Dem Leben hier in der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Soccerhalle in Kaufering. Dem Leben in Syrien. Vom Krieg und von der Flucht erzählen sie nicht. Nur der Vater sagt, dass nachts die Bilder in seinen Kopf kommen, immer wieder. Dass Menirva, seine Jüngste nachts nicht schlafen kann, seitdem. Wenn sie nur endlich eine Wohnung hätten.
Neun Familien wohnen in dem von der restlichen Unterkunft abgetrennten Teil der Soccerhalle. Im anderen, im Männerteil, ist es ungleich lauter. Um die 150 meist junge Männer aus elf Nationen leben dort, meist zu viert in den ewiggleichen grauen Plastikkartons, die nach oben offen sind. Die Augen könnten sich hoch oben
im Turn- aus Balken und Streben verlieren. Privatsphäre ist nirgends möglich, teilweise sind die unteren der Stockbetten mit einer Decke abgehängt, ein winziger dunkler Raum nur für einen selbst. Das Höchstmaß an Privatheit.
Am Eingang der Halle thront ein Securitymann auf einem schwarzgoldenen Fußballpodest, übrig geblieben aus den Soccerhallenzeiten. Im ehemaligen Restaurantbereich, wo früher Kindergeburtstage gefeiert wurden, stehen Wasserkocher am Tresen. Ein Mann bügelt mit unendlich langsamen Bewegungen ein weißes Hemd auf einem der Tische. Hinter einer Glasscheibe sitzen Markus Schupp von der Asylberatung des Evangelischen Gemeindevereins Kaufering und Rosemarie Pittrich, Asylaußendienstmitarbeiterin vom Landratsamt. Andernorts könnte man sie Herbergseltern nennen. Hier sind sie irgendwas zwischen „Mädchen für alles“, guter Seele und Allroundmanager. Sie lachen viel, auch wenn es hier nicht viel zu lachen gibt. Securitymenschen gehen ein und aus. Handys werden durch die Glasscheibe gereicht, nur hier gibt es Steckdosen zum Aufladen. Das Tor zur Welt braucht Strom.
Die Familien bleiben unter sich. Eigene Toilettenabteile mit heruntergeranztem Schulsportcharme. Wenn die Sonne scheint, könnten die Kinder in ihrem Bereich nach draußen, ohne die Männerhalle pasweiteren sieren zu müssen. Ein Stückchen echte Erde mit spärlichen Grasbewuchs, umzäunt von einem zwei Meter hohen Wellblechzaun.
Die Männer kommen immer zuerst. Sie kämpfen den Weg nach Deutschland frei und dürfen – sobald sie ihre Anerkennung als politischer Flüchtling haben – ihre Familien nachholen. Da ist beispielsweise Gehad, gerade 18 geworden, der erst vor einigen Tagen seine halbblinde Mutter nachgeholt hat. Oder Omar, der das erste Mal seit zwei Jahren seine Frau und seine beiden kleinen Kinder in die Arme schließen konnte, das jüngste wurde erst nach seiner Flucht geboren.
Da ist die sechsköpfige Familie Alhakim, die erst in den Libanon geflohen ist, Bilder zeigen die Kinder beim Spielen im Meer. „Aber die Libanesen mögen die Syrer nicht“, sagt die 15-jährige Youmn. Dann ist der Vater vor in die Türkei, von dort weiter nach Deutschland, monatelang wussten sie nicht, ob der Vater noch lebt. „Wir haben viel geweint,“schreiben die beiden ältesten Mädchen Youmn und Maissan in einem Schulaufsatz.
Im Libanon haben die Kinder Französisch gelernt, in der Türkei machen sie deutsche Sprachkurse. Mutter Alsaifi ist Arabischlehrerin, Vater Abdulnasser Alhakim Lehrer für Mathematik. Lange hat er in Abu Dhabi als Grafikdesigner bei einer großen Zeitung gearbeitet. Er legt großen Wert auf die Ausbildung seiner Kinder, jeden Tag sitzt er mit ihnen zusammen und lernt. „Alle in unserer Familie sind entweder Doktoren, Lehrer oder Ingenieure. Meihallengeäst ne Kinder sollen auch studieren,“sagt der hagere Mann, der recht passabel Deutsch spricht. Nur gelegentlich helfen seine Kinder mit der richtigen Vokabel aus. Im gemeinsamen Zimmer der vier Kinder, die üblichen vier mal vier Meter, sind die Betten zusammengeschoben, an der grauen Plastikwand kleben Buntstiftbilder. Alle zeigen ein Haus, mal mit, mal ohne Garten. „Unser Haus“steht darüber mit krakeligen Buchstaben. Kann man auch nur annähernd ermessen, wie es sich anfühlt, so vollkommen ohne Perspektive, in einem Plastikzwischenlager, mit Sehnsucht nach der Heimat, mit der Ungewissheit, wie es weitergehen wird?
Krieg in der Heimat, der Onkel verschollen, die Großeltern irgendwo, immer wieder ein neues Leben, eine neue Sprache, jetzt in Deutschland in einer Übergangssituation, immer wieder die Hoffnung auf eine Wohnung, eine Bleibe, immer wieder die Enttäuschung, wenn jemand anderes bevorzugt wird. Alles gut, alles gut, redet Alhakim sich immer wieder ein, und seufzt: „Wenn wir doch nur eine Wohnung hätten.“Eine Wohnung würde vielleicht so etwas wie ein normales Leben bedeuten. Ein Leben, in dem die Kinder Freunde nach Hause einladen könnten. Ein Leben mit einer eigenen Küche. Zumindest kein Leben in Plastikhellgrau mehr.
Kontakt Wer eine Wohnung für die Al hakims oder eine der anderen Familien anbieten kann, wende sich bitte an: Mar kus Schupp, Asyl Sozialberatung, Tele fon 0172/9095309.