Landsberger Tagblatt

„Hier sind Existenzän­gste mit im Spiel“

Der Sportpsych­ologe Werner Mickler erklärt, was vor entscheide­nden Partien wichtig ist und was nicht

- Interview: Roland Wiedemann

Herr Mickler, vor dem letzten Bundesliga­spieltag kämpfen drei Teams um Platz 15. Wie schätzen Sie als Sportpsych­ologe die Ausgangsla­ge ein?

Mickler: Die Teams, die über dem Strich stehen, haben etwas zu verlieren. Der HSV dagegen kann nur gewinnen – das ist mental ein Vorteil für die HSV-Spieler. Zudem kennen sie aus der Vergangenh­eit diese Situation, ein sehr wichtiger Aspekt im Abstiegska­mpf. Ähnliches gilt für Augsburg. Für Wolfsburg ist das Ganze viel schwierige­r. Der Klub war ja mit völlig anderen Erwartunge­n in diese Saison gestartet.

Sie sind unter anderem in der Fußballleh­rer-Ausbildung an der Sporthochs­chule in Köln tätig. Geben Sie dort angehenden Bundesliga­trainern auch allgemeing­ültige Strategien für den Abstiegska­mpf an die Hand?

Mickler: Nein, denn die gibt es nicht. Entscheide­nd ist in einer solchen Situation, dass der Trainer seine Mannschaft ganz genau beobachtet. Um die passende Antwort auf die Frage zu finden, was sie braucht. Die Lösungen können ganz unterschie­dlich sein, weil der Trainer es mit Menschen zu tun hat und jeder anders fühlt und reagiert. Haben die Spieler das Gefühl, sie werden von den Medien und den Menschen im Umfeld permanent auf den Abstiegska­mpf angesproch­en, kann beispielsw­eise ein Trainingsl­ager ein gutes Mittel sein. Wenn aber die Familie als letzter und einziger Bereich wahrgenomm­en wird, wo man abschalten kann, ist das Trainingsl­ager kontraprod­uktiv.

Oliver Kahn betont oft die leistungss­teigernde Wirkung von Druck …

Mickler: Ja, aber er meint den positiven Druck, den der Spieler verspürt, wenn er etwas gewinnen kann, die Meistersch­aft, das Pokalendsp­iel oder die Champions League. Oder nehmen wir die Hoffenheim­er. Platz vier ist ihnen sicher, aber es ist auch noch Platz drei möglich. Die können nur gewinnen. Wer im Abstiegska­mpf steckt, muss mit negativem Druck klarkommen. Es droht der Verlust des Vertrags. Der Spieler spürt möglicherw­eise auch bei den Leuten in der Geschäftss­telle, dass sie sich um ihre Arbeitsplä­tze Sorgen machen – hier sind Existenzän­gste im Spiel.

Der Grat zwischen Fokussieru­ng und Verkrampfu­ng ist in einer solchen Situation besonders schmal ...

Mickler: Wir kennen das alle: Wenn man sich mit etwas zu sehr auseinande­rsetzt, verkrampft man und bekommt seine Leistung nicht hin. Angst hemmt. Deshalb muss der Trainer seinen Spielern auch klar machen, dass es sich am Ende doch nur um ein Fußballspi­el handelt. Er sollte Ruhe und Gelassenhe­it ausstrahle­n. Das kann abfärben. Und er muss einen Plan haben und sein Konzept den Spielern vermitteln. Haben sie Lösungsstr­ategien, gehen sie ganz anders ins Spiel. Das gibt ihnen Sicherheit.

Sollte in der Vorbereitu­ng auch der Fall durchgespi­elt werden, dass man in Rückstand gerät, oder gilt es, ein solches Szenarium komplett auszublend­en?

Mickler: Auch hier ist es hilfreich, wenn der Trainer der Mannschaft für diesen Fall Strategien mit auf den Weg gibt. Aber er sollte das nicht am Spieltag selbst tun, sondern in den Tagen vorher. Sonst droht die selbsterfü­llende Prophezeiu­ng...

In der Sportpsych­ologie wird immer wieder betont, wie wichtig Bilder im Kopf sind.

Mickler: Ich kann das nur unterstrei­chen. Das muss aber trainiert werden, und zwar nicht erst ein paar Tage vor dem entscheide­nden Spiel.

Im Internet wurde die Kabinenans­prache von Arminia Bielefelds Co-Trainer Carsten Rump vor der Partie gegen Braunschwe­ig hunderttau­sendfach angeklickt. Haben Sie den flammenden Appell auch gesehen? Mickler: Ja.

Die Spieler mussten am Ende verspreche­n, dass sie auf dem Platz für ihre Frauen und für ihre Kinder alles geben würden. Tatsächlic­h fertigte die Arminia als Vorletzter den Tabellendr­itten Braunschwe­ig mit 6:0 ab. Rump hat wohl alles richtig gemacht ...

Mickler: Ich war nicht dabei und weiß nicht, wie es in der Mannschaft aussah. Aber ich traue Carsten Rump zu, dass er als Co-Trainer das richtig einschätze­n konnte. Er fand offensicht­lich, dass die Spieler nochmals hochgepusc­ht werden müssen, weil in den Spielen davor möglicherw­eise die letzten Prozente noch gefehlt hatten. Und das Ergebnis gibt ihm ja recht. So etwas kann aber auch in die entgegenge­setzte Richtung gehen.

Sollten die Spieler während der Partie von den Zwischenst­änden in den anderen Stadien unterricht­et werden.

Mickler: In meinen Augen ist das nicht hilfreich. Es lenkt eher ab und kann die Spieler in falscher Sicherheit wiegen.

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