Landsberger Tagblatt

Die Sache mit den Bienen

Imkerboom und Massenster­ben – wie geht’s unseren liebsten Insekten wirklich?

- Von Lea Thies

Er kennt die Sorgen mindestens genauso gut wie das Summen. Jürgen Tautz ist privat schließlic­h auch Imker. Und jeder Imker hat Angst, dass es eines Tages im Stock still ist. Das war schon immer so. Und doch hat sich etwas verändert. Heutzutage gibt es noch DIE Angst. Größer. Dramatisch­er. Medien greifen DAS Bienenster­ben regelmäßig auf, das großflächi­ge, nicht das kleine Drama eines einzelnen Imkers, sie berichten über tote Völker, zitieren gerne Albert Einstein mit dem düsteren Satz „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwind­et, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben“. Nur hat der Nobelpreis­träger das höchstwahr­scheinlich so nie gesagt. Auch das große Honigbiene­nsterben sei ein Mythos, meint Professor Jürgen Tautz. Das sagt er nicht nur als Imker, sondern als einer der internatio­nal führenden Bienenfors­cher, der sich intensiv mit den meist menschgema­chten Problemen der Bienen weltweit auseinande­rgesetzt hat. Sein Fazit: „Dass alle Bienen aussterben werden, an allen Orten und zur gleichen Zeit, das wäre schlimm, aber das wird es nicht geben.“

Wie der 67-Jährige auf diese These kommt, erklärt Tautz ausführlic­h in seinem neuen Buch „Die Honigfabri­k“, das er zusammen mit seinem Imkerkolle­gen Diedrich Steen geschriebe­n hat. Und er erklärt es nun auch am großen Tisch im Besprechun­gszimmer des Bienenfors­chungszent­rums der Universitä­t Würzburg, das er leitet. Tautz hat etwas Ähnlichkei­t mit Albert Einstein, graue, krause Haare, freundlich­e Augen gucken durch eine schwarze Brille, sympathisc­hes Lächeln. Hinter ihm ein Bücherrega­l mit internatio­naler Bienenlite­ratur. In den untersten Fächern stapeln sich Dissertati­onen seiner Studenten aus über 20 Jahren. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Bienenzent­rum auf einem Ex-Kasernenge­lände im Würzburger Osten hat er zuvor noch von seinen fünf Bienenkäst­en die in seinem Garten stehen, auch der, mit dem er überrumpel­t wurde, damals 1995. Der Verhaltens­forscher Jürgen Tautz war schon Mitte 40 und forschte gerade an Krebsen, als eines Tages der große Bienenfors­cher und Uni-Kollege Martin Lindauer ihm einen Bienenstoc­k hinstellte und meinte, an Bienen komme ein Verhaltens­forscher nicht vorbei. Tautz hatte zwar als Student einmal mit Bienenfors­cher und Nobelpreis­träger Karl von Frisch korrespond­iert – die Antwort in Sütterlins­chrift hat er bis heute aufgehoben –, das war aber auch sein einziger Kontakt zur Wunderwelt der Bienen gewesen. „Damals wusste ich so viel über Bienen wie die meisten: Sie machen Honig und können stechen.“

Tautz war schnell fasziniert. Auf der einen Seite war er angezogen von der Komplexitä­t, die das Thema so spannend macht. So viele Fragen, so viele Rätsel, so viel Grund zum Wundern und Staunen, selbst für einen aufgeklärt­en Wissenscha­ftler. Gleichzeit­ig hielten ihn 50 000 Stacheln auf Distanz und flößten ihm Respekt ein. Bald hieß es für ihn „cogito ergo summ“. Er ließ die Krebse Krebse sein, wechselte das Fachgebiet, wurde Bienenfors­cher und Imker. Das Phänomen erklärt er in seinem Buch so: „Wer anfängt, Bienen zu halten und auch nach drei Jahren, wenn alle Anfängerdr­amen durchlebt sind, noch Bienenvölk­er hat, der hat keine Bienen mehr: den haben die Bienen!“Der Forscher Tautz versucht seit nun über 20 Jahren den Geheimniss­en der summenden Insekten auf die Spur zu kommen. Aus Gesprächen mit dem 2008 verstorben­en Lindauer hat er noch einen Stapel mit Notizen und Fragen, die er beantworte­n möchte. Er will beispielsw­eise den sechsten Sinn der Bienen verstehen. Noch ist es ein Rätsel, wie manche Bienenvölk­er vorausscha­uend agieren.

Im Gegensatz zu Lindauer und von Frisch steht ihm bei der Forschung nun moderne Technik zur Verfügung. Er muss sich nicht mehr nur auf sein scharfes Auge verlassen. Er stattet Bienen mit Mikrochips, Markierung­en und Kameras aus. Er verkabelt Bienenstöc­ke und lässt sie rund um die Uhr filmen und messen. Tautz und sein Team fanden so beispielsw­eise heraus, dass Bienen bis vier zählen können. Sie dokumentie­rten auch eindrucksv­oll, wie Bienen eine in den Stock eingedrung­ene Wespe unter Hitze setzen und töten. Oder dass Bienen eigentlich faul sind und im Schnitt nur vier Ausflüge am Tag machen. Und dann ist da noch Hobos, Tautz erfolgreic­hserzählt, „Bienenbaby“: Für das Projekt „Honey Bee Online Studies“stellt er Daten aus verkabelte­n Bienenstöc­ken kostenlos ins Internet und animiert damit Menschen weltweit, sich mit Honigbiene­n zu beschäftig­en. Und das tun sie.

Honigbiene­n sind trotz der Stacheln die beliebtest­en Insekten der Welt. Dafür hat Tautz eine These: „Die Honigbiene ist im ostafrikan­ischen Hochland entstanden, der Mensch ebenfalls. Wenn unsere Vor-Vor-Vorfahren vor sechs Millionen Jahren auf eine Honigfabri­k getroffen sind, muss ihnen das wie Nahrung von einem anderen Stern vorgekomme­n sein, trotz der Stiche. Es gab nichts Süßeres auf der Erde als Honig. Diese positive Erfahrung hat sich in unseren Genen verankert wie auch die Angst vor Spinnen oder Schlangen.“Wissenscha­ftlich kann er seine Idee nicht belegen. Beim Mythos Bienenster­ben ist das anders. Da hat er Zahlen und Fakten. „Bienenvölk­er sterben schon immer, in der Natur sind das 20 bis 30 Prozent. Das muss so sein, wegen der Wohnungskn­appheit“, erklärt Tautz. Da der Mensch diese Tatsache nicht berücksich­tige, wenn er Bienen in seine Obhut nehme, sei jedes tote Bienenvolk ein Aufreger. Und die seit 1971 verschwund­enen 300 000 Bienenvölk­er, von denen der Deutsche Imkerbund (DIB) spricht? Tautz nimmt einen Stift und zeichnet auf ein Blatt Papier, wie er es bei Erklärunge­n immer wieder gerne tut. Er ist bekannt dafür, dass er wissenscha­ftliche Zusammenhä­nge einfach erklären kann. Nun entstehen kleine Bienenskiz­zen oder in diesem Fall eine Kurve, die erst recht gerade verläuft und dann an einer Stelle abfällt. „Das ist die Zahl der Bienenvölk­er und dieser Knick ist die deutsche Wende. In der DDR wurde das Imkern stark unterstütz­t, danach hat es sich auch dort nicht mehr gelohnt.“Viele deutsche Imker gaben also seit den 1970er Jahren ihr Hobby auf, weil es keine Erträge mehr abwarf und durch die Varroamilb­e noch zusätzlich­e Arbeit verursacht­e. Das Imkersterb­en ließ auch Bienen sterben. Umso mehr freut sich Tautz, dass inzwischen ein Umdenken stattgefun­den hat. Bienenhalt­ung lohnt sich wieder. 115000 Imker zählte der DIB 2016 – so viele wie noch nie. Auch die Zahl der Bienenvölk­er steigt wieder.

Und weltweit? „Es gibt keinen globalen Einbruch“, sagt Tautz und beruft sich auf die Vereinten Nationen, wonach sich die Zahl der von Menschen bewirtscha­fteten Bienenvölk­er in den letzten 15 Jahren weltweit deutlich erhöht habe. Sogar in China, wo mancherort­s durch Pestizide so viele Bienen gestorben sind, dass Bäume nun von Menschenha­nd bestäubt werden, gebe es wieder mehr Honigfabri­ken. Wo ein Imker, da auch meistens ein Aufpasser.

Dennoch sei in der Welt der Bienen bei Weitem nicht alles in Ordnung, betont Tautz. Regional massenhaft­es Bienenster­ben komme immer wieder vor. Etwa in den USA, wo die exzessiv betriebene Bestäubung­simkerei den Bienen zusetze. Über die Hälfte aller Völker des Landes wird über tausende Kilometer und durch verschiede­ne Klimazonen transporti­ert, um riesige Monokultur­en zu bestäuben. Am Ende der Saison seien sie fertig mit der Welt und viele zu schwach für den Winter. US-Bestäubung­simker verlieren jährlich bis zu 30 Prozent ihrer Bienenvölk­er.

Das Phänomen des „unerklärli­tes chen massenhaft­en Bienenster­bens“wird auch „Colony Collapse Disorder (CCD)“genannt – so geheimnisv­oll findet Tautz dieses aber nicht. „Alles deutet darauf hin, dass dies die Konsequenz eines Systemfehl­ers ist.“Da werde gegen die Bienen gearbeitet, die Völker würden ausgebeute­t.

In Deutschlan­d gibt es CCD nicht, dennoch haben die Bienen hierzuland­e auch Probleme: die Varroamilb­e („ein für Imker beherrschb­ares Problem“), die immer strukturär­meren und eintöniger werdenden Landschaft­en und pflegeleic­hteren Gärten („Wildbienen verlieren dadurch ihren Lebensraum“) und auch der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtsc­haft („unkalkulie­rbare Risiken“). „Ich glaube aber nicht, dass wir ohne die Agrochemie die wachsende Menschheit satt bekommen“, sagt Tautz und wünscht sich mehr Dialog zwischen den Beteiligte­n: den Forschern der Konzerne, den Bauern, den Bienenschü­tzern. Tautz greift wieder zum Stift und zeichnet eine Vision: Dass Biologie-PhysikChem­ie-Studenten aus demselben Hörsaal im Berufslebe­n weiter miteinande­r reden und nicht gegeneinan­der arbeiten. Das Ziel: die vorhandene­n Methoden wie Fruchtfolg­e und biologisch­e Schädlings­bekämpfung­smöglichke­iten intelligen­t mit chemischen zu kombiniere­n.

Die Lösung für viele Bienenprob­leme gibt es für Tautz schon: Der Mensch müsse sich wieder auf alte, natürliche Wege besinnen. Ein Ansatz sei etwa die Zeidlerei, in der Bienen in Baumstämme­n leben. In solchen Biotopen wohnen auch Bücherskor­pione, winzige Spinnentie­re, die Varroamilb­en fressen. Da werde gerade geforscht. Und es gibt auch wild lebende Honigbiene­n, die ohne Imker klarkommen. Sie streifen sich die Varroamilb­en aus dem Pelz, wenn man sie denn lässt.

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