Landsberger Tagblatt

Monterey ist überall – vor 50 Jahren begann die Zeit der großen Pop-Festivals

„Rock im Park“, „Rock am Ring“: An diesem Wochenende beginnt die Zeit der großen Open Airs. Es ist eine Jubiläumss­aison. Vor 50 Jahren wurde diese Jugendkult­ur in Kalifornie­n geboren. Was ist daraus geworden?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Fotos: Imago (2), dpa

Auf der Einladung stand damals: „Be happy, be free; wear flowers, bring bells – have a festival.“Und tatsächlic­h wollten ganz schön viele Menschen frei und glücklich sein. Sie schmückten sich nicht nur mit Blumen, sondern auch mit Indianerfe­dern und wehenden Kleidern, brachten nicht nur Sachen mit, die in den Händen klingeln. Ja, an jedem der annonciert­en drei Tage wollten schließlic­h 60000 bis 90000 Menschen ein Festival erleben, wie es bis dato nur eines für Folkmusike­r gab, in Newport auf Rhode Island, dort, wo Bob Dylan im Jahr zuvor erstmals zur E-Gitarre gegriffen hatte. Und so fand im Juni 1967, ein Jahr vor Woodstock, tatsächlic­h das erste Pop-Festival der Geschichte statt – nicht zufällig in Monterey. Es lag nur hundert Meilen von San Francisco entfernt, wo in jenem Jahr alles seinen Ausgang nahm: mit den Hippies und ihrem ohnehin sehr musikalisc­hen Summer of Love…

Heute, 50 Jahre später, gehören Open Airs längst zum festen Inventar der globalen Jugendkult­ur. Traditione­ll beginnt an diesem ersten Juni- Wochenende die Saison in Deutschlan­d gleich mit Top-Events, den Zwillingsf­estivals „Rock im Park“in Nürnberg und „Rock am Ring“in der Eifel. Es ist alljährlic­h ein organisato­risches Riesenproj­ekt, das zusammen über 150 000 Zuschauer anlockt. Es ist auch heuer wieder ausverkauf­t – bei Ticketprei­sen von über 200 Euro für ein breit gefächerte­s Musikangeb­ot, gekrönt von drei Bands der ersten Liga. Dieses Jahr: Rammstein, System Of A Down, Die Toten Hosen.

Was für ein umkämpftes Geschäft diese Event-Branche ist, hat sich in den vergangene­n Jahren gezeigt: Zusätzlich zu den arrivierte­n GroßOpen-Airs wie den Zwillingen „Hurricane“im Norden und „Southside“im Süden, wie dem „Wacken Open Air“auch, hat sich eine weitere Doppelvera­nstaltung zu etablieren versucht: „Rockavaria“im Münchner Olympiasta­dion und „Rock im Revier“, das zunächst wie eine direkte Kampfansag­e für den angestammt­en Ort von „Rock am Ring“am Nürburgrin­g geplant war, dann aber in die Arena auf Schalke ausweichen musste. Nach zwei Auflagen ist der Zwilling nun aber schon wieder Geschichte. seien einfach nicht mehr genug Bands für ein erstklassi­ges Programm auf dem Markt gewesen, hieß es – und nun findet „Rock am Ring“nach zwei von Unwettern geprägten Ausgaben samt Blitzeinsc­hlag, Verletzter und Festivalab­bruch in Mendig auch wieder an seinem Geburtsort statt. Aber die Tendenz bleibt: Ein profitable­r Entertainm­ent-Markt verdichtet sich regional, national und internatio­nal immer weiter – gerade in Zeiten, da mit Musik von Platte immer schwierige­r Geld zu verdienen ist, die Menschen für Konzerte aber vergleichs­weise gerne und auch tief in die Tasche greifen. Umso teurer werden für die Veranstalt­er aber auch die gefragten Bands…

Die Band-Probleme in Monterey waren da noch anderer Natur. Denn hier wollten so gut wie alle einfach dabei sein, Mick Jagger und Paul McCartney, Donovan und Paul Simon, The Mamas and The Papas und Brian Wilson organisier­ten sogar selbst mit, um ein gemeinsame­s Zeichen für diesen Sommer der Liebe und die Popmusik zu setzen und spielten auch ohne Gage – wenn sie spielten. Aber mochten die Beatles auch fehlen, weil die nicht mehr live auftreten wollten, und die Rolling Stones, weil Jagger und Keith Richards gerade zu Hause in einem Drogenproz­ess steckten, mochten die Beach Boys, Neil Young und Cream kurzfristi­g verzichten: Es blieben noch reichlich Auftritte in Nachmittag­s- und Abendprogr­ammen zu Kartenprei­sen zwischen jeweils drei und 6,50 Dollar.

Unter den 30 Auftritten: Greatful Dead und Jefferson Airplane, Simon & Garfunkel und The Byrds, der indische Sitar-Virtuose Ravi Shankar und Otis Redding, der Soulsänger aus Georgia. Janis Joplin trat sogar doppelt auf, nachdem sie zunächst am Boden zerstört war, weil ihr inspiriert­er Auftritt zunächst nicht mitgefilmt worden war. Sie konnte dann aber doch überzeugt und zur Wiederholu­ng überredet werden: „Ball and Chain“, ein Hit dieses ersten Festivals. Und zwischen The Who und dem bis dato nahezu unbekannte­n Jimi Hendrix entwickelt­e sich ein nettes Spielchen, weil Pete Townshend von The Who fürchtete, der Gitarrist und Sänger stehle ihnen aufgrund seines Talents und seiner Angewohnhe­it, Instrument­e auf der Bühne zu zerstören, im Vorprogram­m die Schau. Aber wie sollEs ten die Kontrahent­en das klären, da Jimi doch schon so high war, dass er nun noch Faxen machte? Also wurde eine Münze geworfen, Hendrix verlor, The Who spielten zuerst und zerstörten beim Konzert gleich ihr komplettes Equipment. Der junge Jimi begeistert­e danach die Massen trotzdem – nicht nur, weil er seine Gitarre anzündete, sondern weil er ihr zuvor Töne entlockt hatte, die kaum jemand zuvor gehört hatte. Es war die Feier einer neuen künstleris­chen Avantgarde aus den USA und Großbritan­nien, der musikalisc­he Höhepunkt des Sommers der Liebe, ein Fanal der Hippiebewe­gung, die nun weltweit zu wirken begann. Es blieb eine einmalige Veranstalt­ung für „Peace and Love“…

Seitdem ist die Revolution in Serie gegangen, über alle Sparten hinweg zu Spaß und Geschäft geworden, zu einem Ritual des kontrollie­rten Ausnahmezu­stands – wie Fasching. Eine bahnbreche­nde musikalisc­he Neuerung unter freiem Himmel auf dem halben Weg ins Heute waren riesige Techno-Umzüge wie die Love Parade in Berlin, initiiert als politische Demonstrat­ion. Unter dem Motto: Friede, Freude, Eierkuchen.

 ??  ?? Juni 1967 in Monterey, Kalifornie­n: Man flanierte samt Baby, lauschte im Sitzen – aber Jimi Hendrix musste seine Gitarre schon abfackeln, nachdem The Who die ihrigen zerschlage­n hatten.
Juni 1967 in Monterey, Kalifornie­n: Man flanierte samt Baby, lauschte im Sitzen – aber Jimi Hendrix musste seine Gitarre schon abfackeln, nachdem The Who die ihrigen zerschlage­n hatten.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany