Der wichtige Schritt zur Mundartdichtung
Der Lyriker, Verleger und Turmschreiber Anton G. Leitner kommt
Landkreis Das Thema Heimat treibt den Lyriker, Verleger und Münchner Turmschreiber Anton G. Leitner schon lange um. Die von ihm herausgegebene Zeitschrift Das Gedicht steht aktuell unter diesem Motto. Mit seinem Gedichtband „Schnablgwax“hat er sogar den Schritt in die Mundartdichtung gewagt. Bei Reclam veröffentlichte der im Fünfseenland beheimatete Autor im Frühjahr eine Anthologie zum Thema Heimat. Bei den ersten Kreiskulturtagen im Landkreis Landsberg ist Leitner im Schondorfer Landheim mit anderen Lyrikern der „Heimat auf den Versen“.
Mit ihrer derzeitigen Ausgabe der Zeitschrift „Das Gedicht“interpretieren Sie den Begriff „Heimatdichtung“neu und befreien ihn von Kitsch und Klischees. Was bedeutet für Sie Heimat?
Anton G. Leitner: Jeden Samstag gönne ich mir den Luxus, in meiner Geburtsstadt München über den Viktualienmarkt zu streifen, um dort meine Stammhändler zu besuchen und mit ihnen über die Konsistenz und den Geruch von Holunderblütengelee zu sprechen oder mich von ihnen auf Spaghetti mit Trüffeln einladen zu lassen, wofür ich mich dann mit einigen spontan rezitierten Versen bedanke. Wenn ich dann dort noch die Schäffler tanzen sehe, fühle ich mich an meine Kindheit erinnert, denn ich war ja viel bei meinen Großeltern im Lehel oder in der Au. Gerade in der Au gibt’s so was wie ein heimatliches Urgefühl, wie übrigens auch im hinteren Bayerischen Wald oder in Südtirol, wo ja ein Teil meiner Vorfahren herkommt. Ohne München vor der Haustüre würde ich mich im Dorf Weßling, wo schon seit Jahrzehnten mein Lebensmittelpunkt ist, nicht wohlfühlen und umgekehrt. Meine Heimat ist aber auch im Kopf: Sie hat viel mit Poesie zu tun und mit Menschen, in deren Umgebung ich mich daheim fühle, egal, wo ich mich gerade aufhalte.
Ihren jüngsten Gedichtband veröffentlichten Sie in bayerischer Mundart. Welchen Stellenwert hat heute eigentlich Sprache, Sprachheimat? Was kann da Lyrik beitragen?
Leitner: Ich habe vier Jahrzehnte lang ausschließlich auf Hochdeutsch gedichtet und mir damit überregional einen Namen gemacht. Erst im reifen Alter habe ich mich getraut, auch so zu dichten, wie mir der Schnabel gewachsen ist, nämlich auf Bairisch.
Als Münchner Turmschreiber, der immer wieder auch mit Kabarettisten auf der Bühne steht, hat es mich einfach gejuckt, den Versuch zu wagen. Perfektionistisch wie ich bin, habe ich sehr viel Zeit in dieses Projekt investiert, auch um nicht auf dem dünnen Eis der Mundart einzubrechen. Mir ging ehrlich gesagt ein bisschen die Muffe, dass ich mich damit blamieren könnte oder dass ich sogar in die Ecke der weichspülenden Heimattümler gestellt werden würde. Die Gefahr, dass ich mich ausschließlich auf deren Credo „Schee is auf da Welt“eingroove, war jedoch nicht sehr groß, dafür bin ich zu sehr mit offenen Augen und gespitzten Ohren unterwegs. Aber der Erfolg meines Schnablgwax-Projekts auch außerhalb Bayerns, in völlig anderen Mundarträumen, hat mich selbst genauso verblüfft wie gefreut. Die Sprache ist wahrscheinlich unsere eigentliche Heimat, und weil gute Gedichte auch stets komplexe Lebenssachverhalte wie Liebe und Tod auf den Punkt bringen, kann die Lyrik eine besonders konzentrierte Form von Heimat und ihrer Verbalisierung sein.