Mission jenseits von Afrika
Ohne „Gastarbeiter Gottes“kommt die Katholische Kirche hier nicht mehr aus. Wie gelingt das? Auf der Suche nach dem Pfingstwunder im Alltag
Wenn man eine Reise antritt, ist man irgendwann auch am Ziel. Außer man hat gar keines. Wenn man aber die Welten wechselt, woran erkennt man eigentlich, dass man angekommen ist? Nicht mehr irgendwie dazwischen hängt?
Vielleicht war vor drei Wochen der Moment erreicht, an dem Kaplan Isidore Uko dann wirklich angekommen ist. Vielleicht gibt es auch gar nicht den einen Moment, sondern viele. Dann war es zumindest einer davon. „Ich weiß nicht, was soll das bedeuten…“So hat Kaplan Isidore seine Predigt in der Basilika St. Ulrich und Afra in Augsburg begonnen. Mit Heinrich Heine und der Loreley. Mit einem Dichter also, dessen Werke die katholische Kirche einst auf den Index der verbotenen Bücher setzte, und mit der deutschen Sehnsuchtshymne, hundertfach vertont. Von Heine und der Loreley ist er dann auf den Menschen zu sprechen gekommen und das Gefühl der Traurigkeit. Zwölf Minuten lang sprach er. Es war seine zweite Sonntagspredigt in dieser großen Basilika. Die ganz große Show, würde man in der Unterhaltungsbranche sagen. Am Ende der Messe hat der Pfarrer ihm dafür gedankt. Und die Gemeinde geklatscht, manche mit den Händen über dem Kopf.
Ob dieser Moment sich in seiner Erinnerung an die Zeit in Deutschland festhaken wird? Vielleicht. Aber es liegen ja noch Jahre vor ihm. Und das erste ist noch nicht einmal um. Zwei Monate fehlen noch. Am 1. August 2016 ist er gelandet, der erste Flug von Nigeria aus, zum ersten Mal Europa, Deutschland, Augsburg, Straßenbahn, Spätzle, später dann der Schnee. Deutschkenntnisse? Kaplan Isidore, (29), lacht. Ein Langstrecken-Lachen. Er wird dazu noch eine Geschichte erzählen, die er mittlerweile selbst sehr komisch findet…
Mit Kaplan Isidore kamen im August sieben weitere Geistliche an. Weltenwechsler wie er. Fünf davon aus Indien, zwei aus Nigeria. Ein Jahr lang sind sie nun auf mehrere Pfarreien in der Stadt Augsburg verteilt. Als Kaplane in der Einarbeitung. Dann erst geht es an den eigentlichen Arbeitsplatz. Die Diözese ist groß. Es kann ein kleiner Ort im Allgäu sein. Oder Nördlingen. Gebraucht werden sie fast überall. Es ist ja kaum mehr Nachwuchs da.
Weil es der katholischen Kirche jungen Priestern mangelt, greift die Kirche seit Jahren auf Seelsorger aus dem Ausland zurück. Vor allem in bayerischen Diözesen. 150 ausländische Seelsorger versehen allein im Bistum Augsburg ihren Dienst, die meisten aus Indien, gefolgt von den Priestern aus Polen und Nigeria. Die „Gastarbeiter Gottes“, wie sie manchmal genannt werden, stellen damit in der Diözese einen Anteil von fast 20 Prozent. Ohne sie ginge es also nicht. Oder nur anders, vielleicht auch schlechter. Nicht überall in Deutschland und in jeder Pfarrei geht es aber auch besser.
In Neusäß sitzt Kaplan Solomon John Essiet, (34), im schlichten Besprechungsraum gleich neben der Kirche St. Ägidius. Fünf Gemeinden zählen zur Pfarreiengemeinschaft, betreut von zwei Geistlichen: dem Pfarrer und ihm. An einem Wochenende predigt er in Täfertingen, am nächsten in Ottmarshausen, dann Aystetten… Sonntags-Alltag in katholischen Pfarreien. Der Kaplan stammt aus der selben Diözese in Nigeria wie sein Mitbruder Isidore, vor vier Jahren wurde er vom Bischof entsendet. Den Wunsch hatte er nicht geäußert, nach Wünschen wurde auch nicht gefragt, aber gerechnet hatte er damit. „Fast jeder Priester bei uns erwartet, ins Ausland zu reisen. Ich war bereit, überall hinzugehen.“Kanada, USA oder eben nun Neusäß. Wo sich zwei Stunden später in der Vorabendmesse auf den vielen Bankreihen in St. Ägidius etwa 60 Kirchgänger verteilen und Kaplan Solomon lauschen werden, wie er über die Kraft des Gebetes spricht. Und dabei eine kleine Anekdote einbaut über einen Jungen, manchmal ungezogen, der zu Gott betet. Nicht darum, dass er sich besser benehmen möge, sondern, dass seine Mutter ihn besser verstehe…
Er hat seinen Stil gefunden, wenn man das so sagen darf. Ein schneller Scherz, eine nette Geschichte. Er wolle nicht die nigerianische Kultur hier nach Deutschland importieren. „Bei uns wird im Gottesdienst viel getanzt und gesungen, hier wollen die Leute zur Ruhe kommen.“Das verstehe er. Anderes Leben, andere Bedürfnisse. Aber er versuche, den Gottesdienst eben auf seine Art ein wenig lebendiger zu gestalten. „Ich habe im Laufe der Zeit gemerkt, dass die Menschen es mögen, wenn man die Atmosphäre etwas lockert. Ab und zu bringe ich die Gemeinde in der Predigt zum Lachen, das kommt immer gut an.“Er selbst aber ja auch. Eine Typsache. Wenn einer die Menschen gerne mag, mögen sie ihn meist auch. Welt hin oder her.
„Außerordentlich nett“seien hier alle von Anfang gewesen. Als er selbst noch kein Auto hatte, gab es eine Art Shuttleservice für ihn zu den Messen. Jetzt fährt er selbst. Manchmal tauft er Kinder, deren Eltern er schon verheiratet hat. Einmal wünschte sich ein Mann nach der Krankenkommunion, der Kaplan möge ihn beerdigen. Im Religionsunterricht korrigieren ihn die Kinder noch manchmal. „Herr Kaplan, so sagt man das aber nicht“oder „Herr Kaplan, meinen sie Jünger oder Junge“. Von den Kindern habe er viel gelernt. Weil sie sich nicht scheuen, einen auf einen Fehler hinzuweisen. Geradeheraus. So etwas mag er. Kaplan Solomon sagt, er fühle sich hier zu Hause. Ganz angelangt in der neuen Welt.
In der Studie zur Situation der ausländischen Priester in Deutschland, die die Deutsche Bischofskonferenz vor sieben Jahren in Auftrag gab, wäre Kaplan Solomon wohl zu den Fällen des „Gelingens“gerechnet worden. An alle damals 1312 Gastpriester wurden Fragebogen verschickt, knapp die Hälfte kam ausgefüllt zurück. Außerdem befragten die Wissenschaftler die Personalverantwortlichen in den Diözesen und fertigten Fallstudien an, schauten also genauer hin. Das Ergebnis, nun ja, es musste wohl erst einmal verdaut werden. Auch wenn die meisten der Seelsorger, nämlich über 80 Prozent, erklärten, sie würden sich sehr wohl oder zumindest eher wohl fühlen. In den Handlungsempfehlungen an die Bischofskonferenz stand dann aber der Satz: „Als Königsweg zur Lösung des Problems eignet sich der Einsatz ausländischer Priester nicht.“Gehe man von den Mindestanforderungen für Priester in der heutigen Seelsorge aus, so seien die Risiken, dass sie von ausländischen Priestern unterschritten werden, hoch.
Was die Wissenschaftler der Universität Münster nämlich herausfanan den: dass die Kluft zwischen den Welten manchmal kaum zu überwinden ist. Dass es Konflikte gibt. Weil Kirche nicht gleich Kirche ist. Weil man in Indien, Polen oder Nigeria als Pfarrer eine andere Autorität genießt, vor vollen Kirchenbänken predigt, sich nicht mit aufmüpfigen Laien auseinandersetzen muss, nicht mit Frauen, die Mitsprache in der Gemeinde einfordern, und auch eher nicht mit penibel rechnenden Verwaltungsreferenten, wenn es um Geld und Projekte geht. Weil die Menschen dort zum Pfarrer kommen, nicht der Pfarrer zu den Menschen. Was die moderne Lebensweise in Deutschland angeht, signalisierte die Mehrheit der Seelsorger denn auch Distanz…
Das größte Problem jedoch: die Sprache. Geistliche Kommunikation sei nicht mit einer Alltagsunterhaltung zu vergleichen, sagt Stefan Leibold, Mitverfasser der Studie: „Für ein seelsorgerisches Gespräch reicht es nicht aus, einigermaßen gut Deutsch zu sprechen. Ich muss auch die Zwischentöne hören können und das ist etwas, was Menschen aus einem anderen Kulturraum nur sehr schwer lernen.“Die Selbstwahrnehmung der ausländischen Priester und die Fremdwahrnehmung sind da den Ergebnissen der Studie nach nicht unbedingt deckungsgleich. Kein Pfingstwunder, wie es in der Apostelgeschichte steht: „Plötzlich hörte man ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm vom Himmel herab weht. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem die Jünger waren… Alle wurden vom Geist Gottes erfüllt und begannen in verschiedenen Sprachen zu reden, jeder wie es ihm der Geist Gottes eingab.“
Und vielleicht hier nun, an dieser Stelle, die kleine Geschichte, über die Kaplan Isidore sich im Nachhinein so amüsieren kann. Dass er nämlich tatsächlich nicht erwartet hatte, „dass es hier auch Leute gibt, die wenig oder gar kein Englisch sprechen“. Er habe angenommen, es sei wie in Nigeria, mit englischsprachigen Zeitungen eben und auch englischsprachigem Fernsehen. Aber dann: Alles immer nur auf Deutsch! Das musste er auch den Menschen zu Hause erklären. Und wie es sich anfühlt, wenn man irgendwo hinkommt und erst einmal nichts versteht. Bis man sich langsam in die Sprache hineinfindet. Die Fälle, die Artikel, der Bedeutungsunterschied zwischen froh und fröhlich… Fortsetzung auf Seite V2
Wenn einer die Menschen mag, mögen sie ihn auch. In Nigeria muss der Pfarrer nicht mit Laien diskutieren