Landsberger Tagblatt

Ihm gefällt der Mut der Kirchenbes­ucher, zu sagen, was ihnen nicht gefällt

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Die Sprache ist eine große Herausford­erung“, sagt Kaplan Isidore. „Und das Wetter.“Im Winter zog er sich eine Erkältung zu. Aber so ein Schnupfen vergeht ja einfach und ist auch keine große Sache. Aber wenn er im Beichtstuh­l nicht die richtigen Worte finden würde, den richtigen Trost, das wäre etwas Ernstes. „Wenn der Priester in dieser Situation nicht gut handelt, kann er eine Seele verlieren.“Er tut, was er kann. Was man machen soll, wenn man eine Sprache lernt. Zeitungles­en, Fernsehsch­auen, Vokabel pauken. Schön wäre, sagt Kaplan Isidore, wenn er noch jemanden finden würde, der ihm ein wenig hilft. Freunde also. Die vermisst er. Und die Familie, seine drei Brüder, etwa einmal alle zwei Wochen telefonier­t er mit zu Hause. Man muss ja heute die eine Welt zum Glück nicht ganz verlassen, wenn man in der anderen lebt.

Auf die Frage, wie es ihm in Augsburg gefällt, sagt Kaplan Isidore: „Super.“„Toll.“Und: „Ich mag alles.“Menschen, Essen, Wetter. Wobei es mit den Menschen wie mit dem Wetter ist: gelegentli­ch kühler als zu Hause. Alle seien unglaublic­h hilfsberei­t, aber es dauere eben oft ein wenig länger, bis sich jemand öffne. Manchmal wünscht er sich, dass nach dem Gottesdien­st noch ein paar Gemeindemi­tglieder vor der Kirche warten. Aber bis er sich umgezogen habe, seien meist alle weg. Stadt eben.

Der Familien- und Freundeser­satz, das sind nun: Kaplan Solomon, bei dem er den ersten Monat verbracht hat. Stadtpfarr­er Christoph Hänsler und ein Praktikant, mit denen er im Pfarrhaus lebt. Und seine Mitbrüder, mit denen er das Ausbildung­sprogramm absolviert. Sieben Monate Intensiv-Sprachkurs, danach der Führersche­in und dazwischen, verteilt auch noch über die nächsten zwei Jahre, einzelne Ausbildung­seinheiten: Wie führt man hier ein Taufgesprä­ch, was sagt man bei einer Beerdigung, wie gestaltet man den Religionsu­nterricht, was versteht man unter Mitarbeite­rführung. Es geht also grob gesagt darum, wie eine bayerische Pfarrei so funktionie­rt und was vom Pfarrer alles erwartet wird. Und was nicht. Die Wissenscha­ftler aus Münster stießen beispielsw­eise auf einen Fall, da teilte ein afrikanisc­her Pfarrer der Sekretärin im Büro mit, die Jugendlich­en könnten nun sein Auto waschen. Das nun eher nicht.

„Für uns ist es wichtig, dass die ausländisc­hen Priester einen klaren Blick auf die Kirche in Deutschlan­d gewinnen, dass wir ihnen ein Fundament bauen für die Arbeit, die Gemeinscha­ft untereinan­der fördern“, sagt Domvikar Martin Riß, seit September zuständig für die Ausbildung in der Diözese. Und er versuche, engen Kontakt zu halten. Seit etwa zwei Jahrzehnte­n gibt es das Konzept, dazu zählt auch das jährliche Treffen aller Weltpriest­er aus dem Bistum. Deren Wirken sei mehr als eine willkommen­e Hilfe. „Wir wollen ja nicht nur Löcher stopfen,“sagt Hänsler, von dem Riß die Aufgabe letztes Jahr übernommen hat. Beide sehen es so: „Für uns ist es eine große Bereicheru­ng.“Weil die ausländisc­hen Seelsorger ja auch ihre eigenen Erfahrunge­n mit einbringen und ihre eigene Art der Glaubensve­rmittlung. „Zum Beispiel ihre große Freude daran, den Glauben gemeinsam in der Gemeinscha­ft zu feiern“, sagt Riß. Gelebte Weltkirche, deren oberster Hirte aus Argentinie­n kommt.

Einen Fall wie in Zorneding bei München gab es in all den Jahren im Bistum Augsburg nicht. Ein Pfarrer aus dem Kongo legte im vergangene­n Jahr wegen rassistisc­her Angriffe sein Amt nieder. In der Studie der Universitä­t Münster gab etwa jeder sechste ausländisc­he Priester an, Erfahrung mit Rassismus gemacht zu haben. Kaplan Solomon sagt auf die Frage danach: „Umgekehrt.“Er habe nur das Gegenteil erlebt. Eine Art Freundlich­keitsextre­mismus.

Ob er sich als Missionar fühlt? Der hier den Glauben wieder neu entfachen kann? Immerhin mehr als 30 Prozent der befragten Seelsorger hatte das im Fragebogen der Universitä­t Münster als wesentlich­e Motivation genannt. Am häufigsten aber wurde folgende Antwort angekreuzt: „Mein Bischof hat mich geschickt.“Wobei das eine das andere nicht ausschließ­t. Kaplan Solomon, der hier an der Universitä­t promoviere­n möchte, sagt: „Grundsätzl­ich ist jeder Priester ein Missionar.“Mit dem Auftrag, das Evangelium zu verkünden. Und man könne es ja auch so sehen: Vor vielen Jahren habe Europa Afrika missionier­t, „jetzt kommen wir nach Europa und bringen die Früchte mit“.

Er versteht die Zusammenar­beit zwischen den Diözesen als gegenseiti­ge Hilfe: „Wir wissen um den Priesterma­ngel in Deutschlan­d, aber unsere Priester lernen auch hier und nehmen das Wissen wieder mit nach Hause.“Was ihm hier zum Beispiel gefalle: Dass die Menschen sagen, wenn ihnen etwas an ihrer Kirche nicht gefällt. Der Mut. Und wie wichtig es ist, als Priester dann auch zuzuhören. „Auch in Afrika wird die Zeit kommen, in der die Leute sagen, was man anders machen soll.“Ob er sich vorstellen kann, für immer zu bleiben? Kaplan Solomon lacht und schüttelt den Kopf. Nigeria, Bayern und zurück.

Zehn Jahre, so lange etwa schätzt Kaplan Isidore, wird er hier sein. Die neue Welt erkunden. Nun aber geht es erst einmal noch um die Sprache. Wobei: Zehn Monate Deutsch und dann schon Heinrich Heine. Für seine Predigt habe er sich das Lied von der Loreley auf Youtube angesehen, sich in den Text vertieft. Er hat seine eigene Deutung gewonnen. Dass es um die Trauer gehe, wenn Menschen etwas Schönes verlieren, wie schwach sie sich dann fühlen. Auch der Pfarrer hat ihm vor der ganzen Gemeinde sein Lob ausgesproc­hen. Und ihm später noch einen kleinen Tipp gegeben: Wenn er in Zukunft vielleicht noch ein, zwei Minuten kürzer spreche. In Nigeria kann eine Predigt auch schon mal eine Stunde dauern. Eine andere Welt. Zehn Minuten, mehr sind die Gläubigen aber hier nicht gewohnt…

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Kaplan Isidore ist erst knapp ein Jahr in Deutschlan­d. Er sagt: „Die Sprache ist eine große He rausforder­ung.“Für seine Predig ten vertieft er sich aber schon mal in deutsche Klassiker wie in Heinrich Heines Loreley Gedicht.

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