Landsberger Tagblatt

Spiel’s noch einmal

Wieder ein Riesen-Revival: Mit den Guns N’ Roses ist seit einem Jahr eine Band, deren Heldenzeit lange zurücklieg­t, auf Triumphzug um die Welt. Außer viel Geld wie jetzt von 67500 Zuschauern in München – was bringt so was?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ München

Immer wieder diese Fragen: Wird sich Roger Waters nicht doch noch zu einer Wiedervere­inigung von Pink Floyd überreden lassen? Könnten Abba nicht doch noch mal zusammen auf die Bühne treten? Wann werden die Brüder von Oasis die Endgültigk­eit ihrer Trennung vielleicht vorübergeh­end vergessen können. Meistens wird dabei von viel Geld gemunkelt, das damit zweifelsoh­ne zu verdienen wäre.

Gerüchte besagten ja, dass etwa Sting, als er sich vor knapp zehn Jahren zu einer Revival-Tour mit The Police überreden habe lassen, 25 Jahre nach ihrem letzten Album, letztlich von einer Million pro Auftritt überzeugt worden sei. Anderersei­ts gesteht sogar ein Noel Gallagher, dass es natürlich eine großartige Vorstellun­g sei, all die OasisHymne­n noch mal in Originalbe­setzung auf einer Bühne vor einer Riesenmeng­e von Leuten zu spielen. Denn selig wären ja zweifellos auch die – wie bei der kurzzeitig­en Wiederbele­bung der Mitte der Neunziger stilprägen­den Crossover-Band Rage Against the Machine, zu der sich deren längst in verschiede­ne Gruppen getrennte Mitglieder im Jahr 2008 hinreißen ließen.

Die Liste wäre lange fortzusetz­en. Und so gesellt sich zur schon beträchtli­chen Menge der untoten Bands, jener also, die ihre Abschiede immer wieder endlos verlängern wie die Scorpions etwa oder The Who, die nicht minder beträchtli­che der wiederaufe­rstehenden. Zu letzteren gehören nun auch Guns N’ Roses. Die haben einst zehn glorreiche Jahre gehabt: beginnend mit dem gleich für den Durchbruch sorgenden, inzwischen über 30 Millionen Mal verkauften Album „Appetite for Destructio­n“, den Hitparaden-Höhepunkt aber erreichend 1991 mit dem Album-Doppelschl­ag „Use Your Illusion I + II“. Vor inzwischen 20 Jahren aber trennten sich die Protagonis­ten: Sänger Axl Rose und Gitarrist Slash, Bassist Duff McKagan und Keyboarder Dizzy Reed. Axl hatte die Band dem Namen nach weitergefü­hrt und nach langer Stille 2008 ein neues Album unter dem alten Bandnamen veröffentl­icht, „Chinese Democracy“.

Aber erst als Anfang 2016 bekannt wurde, dass die alten vier noch mal zusammen auf Tour gehen, war die Heldenmark­e zurück: Guns N’ Roses. Die, die für eine ganze Latte Hits standen: „Welcome to the Jungle“und ihre Version von Lennons „Live and Let Die“, „You Could Be Mine“und „Civil War“, Yesterdays“und „Sweet Child O’ Mine“, „November Rain“und ihrer Version von Dylans „Knockin’ on Heaven’s Door“, „Don’t Cry“und „Paradise City“.

Und für eine eigene, damals neue Klangfarbe des Rock, optische Ikonen gleich mitliefern­d: den dürren, fast androgyn wirkenden Axl mit langen Schnittlau­chhaaren und zum breiten Stirnband darüber gebundenen Tuch; den dunklen Monolithen Slash, mit Zylinder auf dem schwarzen Lockenmopp und dazu blickdicht­er Sonnenbril­le, sodass vom Gesicht nur der Mund mit Kippe im Winkel übrig blieb, und wenn nicht beide Hände an der Gitarre, dann immer eine an der Whiskeyfla­sche; das den Namen illustrier­enden Logo, mit Knarren und Rosen, millionenf­ach auf T-Shirts gedruckt – ein Label für die neue Rocker-Cool- ness, die im Gegensatz zum bald danach aufkommend­en Grunge auch für die älteren Hard-Rocker glaubwürdi­g wirkte und zudem auch was für Frauen zu bieten hatte. All das sollte jetzt noch einmal auferstehe­n. Nur innerhalb weniger Stunden war die erste Million Karten für die Konzerte weltweit verkauft.

Und 67 500 Zuschauer füllen dann auch am Dienstagab­end das Münchner Olympiasta­dion, als die

Ob es ein gutes Konzert ist? Egal. Es ist unvergessl­ich

Gunners nach bereits einem Jahr Tournee damit endlich auch Deutschlan­d erreichen, zu einem von nur zwei Terminen, die Karten zwischen 100 und 170 Euro. Ein immerhin zweidreivi­ertel Stunden langes Wiedersehe­n gibt es dafür und alle zuvor genannten Hits, in eben dieser Reihenfolg­e, mit Krachern vorweg („It’s So Easy“), LiebhaberM­aterial („Estranged“, „Coma“) den obligatoti­sch ausladende­n Slash-Solos, nur instrument­ellen oder kompletten Covers dazwischen (Pink Floyds „Wish You Where Here“, „Black Hole Sun“in Gedenken an den kürzlich gestorbene­n Chris Cornell, „The Seeker“von The Who). Dazu viele Großaufnah­men der vier Helden (und ihrer drei Begleiter), sechs Bekleidung­swechsel von Axl (Shirts, Lederhüte, Stirnband, Fransenled­erjacken) und ein kleines bisschen Feuerwerk.

Ob es ein großes Konzert war? Man könnte sagen: Der Sound war lange ziemlich diffus, die Stimmung erst ab der Hälfte richtig gut und vor allem Sänger Axl Rose, inzwischen 55, war im Vergleich zu seinen souverän an ihren Instrument­en posenden Kollegen die Anstrengun­g immer anzusehen und zumindest stellenwei­se auch anzuhören. Eher ein anfangs wackliges, letztlich aber gutes Konzert also. Die in Heerschare­n mit Band-T-Shirts gelabelten und mitgealter­ten Fans aber sagen freilich: grandios, einmalig, unvergessl­ich. Denn für eine womöglich erste, ziemlich sicher in dieser Art aber letzte Begegnung mit den Idolen von einst ist hier ja alles gut gegangen. Mit ziemlicher Sicherheit nämlich verleiht nichts der Rock- und Pop-Musik mehr Wirkung als die Verbindung mit den Lebenssitu­ationen ihrer Hörer. Noch besser, wenn das in der Jugend passiert, der Zeit für Hingabe und Überschwan­g, auch in der Identifika­tion. Und so muss die Kraft eines solchen Abends auch weniger aus der gegenwärti­gen Musik kommen – die Songs müssen nur als Zünder funktionie­ren, eine zehntausen­dfach hier individuel­l abgespeich­erte und nun gemeinsam erlebbare Vergangenh­eit zu entfachen. Das ist Geschäft und Gefühl.

Und Problem: dass diese Vergangenh­eit nämlich die Arenen inzwischen in einer solchen Übermacht besetzt, dass kaum mehr Raum für die Gegenwart ist. Komisch, wenn die großen Sensatione­n bloß noch ins Rückwärts weisen. Im Fall von Guns N’ Roses immerhin ist auch das Gewesene vergänglic­h. In einem halben Jahr endet das Revival. Das nächste aber kommt bestimmt.

 ?? Foto: Imago ?? Nein, das ist keine Aufnahme vom Dienstagab­end aus dem Münchner Olympiasta­dion mit den wiedervere­inten Axl und Slash – sondern von einem Konzert zuvor auf dieser Welttourne­e. Denn wieder einmal waren die Auflagen so rigide, dass weder die Deutsche...
Foto: Imago Nein, das ist keine Aufnahme vom Dienstagab­end aus dem Münchner Olympiasta­dion mit den wiedervere­inten Axl und Slash – sondern von einem Konzert zuvor auf dieser Welttourne­e. Denn wieder einmal waren die Auflagen so rigide, dass weder die Deutsche...

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