Landsberger Tagblatt

Das hier ist kein Katzen Video

Die weltweit bedeutends­te Messe für zeitgenöss­ische Kunst lässt sich von Documenta und Biennale Venedig leiten. Sie verkauft die dort propagiert­en und ausgezeich­neten Künstler

- VON RÜDIGER HEINZE Basel Art Basel

Auch wenn die venezianis­che Biennale einst gegründet wurde, um (italienisc­hen) Künstlern ein Podium und eine Verkaufsmö­glichkeit zu bieten: Heute hat sie – genauso wie die Documenta Kassel – gewiss nicht den Zweck, dem Kunstmarkt zu dienen. Viel mehr sollen beide Großausste­llungen, die ja jeweils von erfahrener Museumskur­atorenhand geleitet werden, zeigen, was aktuell künstleris­ches Gewicht beanspruch­en kann und ein wesentlich­es Dokument seiner Zeit werden könnte, werden dürfte.

Aber natürlich werfen die Teilnehmer am Kunstmarkt auch ein scharfes Auge auf Namen und Handschrif­ten, die in Venedig und Kassel – jeweils unter Bedeutungs­zuwachs – präsentier­t werden. Und schon steigt mit dem dort attestiert­en Wert auch der Preis und der starke Wunsch, in der Gunst der Stunde geschäftli­ch mit dabei zu sein. Wenn doch ein Künstler gerade im Munde von denen ist, die sich Kunst leisten wollen, leisten können. Das ist ein Mechanismu­s gerade im Sommer 2017, da Documenta und Biennale wieder einmal zusammenfa­llen.

Wer jetzt über die Art Basel, diese weltweit bedeutends­te Messe zeitgenöss­ischer Kunst eilt, ja hetzt, weil 250 Galerien schwerlich in sieben, acht Stunden „zu machen“sind, der staunt, wie präsent dort zum Beispiel der US-Maler Stanley Whitney (* 1946) ist. Mehrere nam- hafte Galerien zeigen ihn plötzlich auf dem Silbertabl­ett – und das hat seinen Grund natürlich darin, dass er heuer auch die Documenta bestückt. Und so verkauft er sich ebenso wie seine Schweizer Kollegin Miriam Cahn (*1949), die in den 80er Jahren schon einmal gefragt war, dann ins Hintertref­fen geriet und jetzt auch geladener Gast der Documenta ist. Whitneys Arbeiten sind kleinforma­tig ab 4500 US-Dollar zu haben – sie erinnern in ihrer pastellige­n Farbfeldma­lerei entfernt an den Allgäuer Künstler Günther Förg; Miriam Cahns Papiermale­reien ab 7500 Euro. Das ist auf dieser Messe mit zum Teil achtstelli­gen Preisforde­rungen nicht viel – jedenfalls nicht im direkten Vergleich. Freilich gab es auch schon Documentau­nd Biennale-Teilnehmer, die dort nur teilnahmen, was gleichbede­utend sein kann mit

einmal keinmal.

Interessan­t aber, dass mehrere Documenta- und Biennale-Künstler im eher niedrigere­n Preisberei­ch rangieren. Genannt seien die Deutsche Anne Imhof (Goldener Löwe Venedig 2017), die ein hyperreali­stisches Großgemäld­e mit MolotowCoc­ktail und androgyner junger Frau für 55 000 Euro verkaufen lassen konnte, sowie Carolee Schneeman, ebenfalls Goldener Löwe 2017 (fürs Lebenswerk), deren mittelgroß­e Collage-Malereien 30 000 USDollar kosten.

Der schwarze US-Künstler Pope L., der ganz Kassel mit diabolisch flüsternde­n Stimmen aus Lautspre- chern überzieht („Ignoranz ist eine Tugend“), kann es sich erlauben, in großen bunten Lettern auf Leinwand zu schreiben: „Black People are Shit“– wofür der Käufer 85 000 US-Dollar berappen muss. Und sein griechisch­er Kollege Apostolos Georgiou, ebenfalls vertreten in Kassel, lässt für das Tischgespr­äch eines Paares, getrennt durch einen Rosenstrau­ß, 35000 Euro ansetzen.

Das alles ist jedenfalls nicht so viel, wie ein dritter Goldener-Löwe-Preisträge­r 2017, der deutsche Konzeptkün­stler Franz Erhard Walther kostet – und erst recht nicht so hoch bewertet, wie der schwarze US-Star Mark Bradford gehandelt wird, der heuer in Venedig den kompletten US-Pavillion ausgestalt­ete. Eine große „Modellsamm­lung“von Stoff-Accessoire­s, die Walther 1983 schuf, ging in Basel für einen niedrigere­n sechsstell­igen Betrag weg und ein attraktive­s ÖlGroßform­at von Bradford in den ersten beiden Messetagen für einen unteren einstellig­en Millionenb­etrag.

Was aber dieses Jahr noch auffällt am Schweizer Oberrhein: Italienisc­he Galerien mit breitem Angebot zwischen Marini, Manzoni, Morandi, Melotti, Castellani und Spitzenver­treter Fontana haben einen ebenso starken Auftritt wie manche Galerie, die nicht auf Zeitgenöss­isches setzt, sondern auf die Klassische Moderne. Aurel Scheibler/Berlin zeigt sogar ausschließ­lich Ernst Wilhelm Nay, Maaß/Berlin ausschließ­lich Grafik von Max Beckmann. Und Thomas/München hat unter aller museal abgesegnet­er Kunst auch einen kleinen August Macke von 1912 im Angebot, der im Motiv zwar gestrig wirkt, aber deswegen nicht schlecht ist: die Katze der Familie, schlafend eingerollt auf 31 mal 36 Zentimeter, Öl auf Karton. Als Preisausku­nft ist seitens der Galerie nicht mehr zu erfahren als „sechsstell­iger“Bereich. Aber ahnen kann man: 200000 Euro wären zu wenig, eine halbe Million zu viel. Jedenfalls schlägt das stille, friedliche, gleichsam schnurrend­e Bild – kleiner Scherz am Rande – jede Katzen-Video-Animation.

Zum Schluss: Unernst gibt sich auch der Schweizer Bildhauer Urs Fischer, der Rodins berühmte Plastik „Der Kuss“aus Knete nachformte und ihre Betrachter auffordert, verändernd mitzugesta­lten – parallel übrigens zu mancher Partizipat­ionskunst dieser Messe. So wuchsen dem weichen Werk etliche Warzen, etliches Geschwür, etliches Obszönes, während an anderen Stellen – etwa am Knie – Löcher klaffen. Nach zwei Messetagen sieht der Kuss jedenfalls nicht besser aus.

Und jeder darf am „Kuss“von Auguste Rodin feste mitkneten

in der Messehalle der Stadt, Laufzeit bis Sonntagabe­nd. Tagesti cket: 60 Schweizer Franken, online 50 Schweizer Franken.

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