Landsberger Tagblatt

Kann sich Nordkorea jetzt alles erlauben?

Leitartike­l Der Tod des Studenten Otto Warmbier offenbart die Hilflosigk­eit der USA gegenüber Diktator Kim Jong Un. Das hat viel mit dem Besitz der Atombombe zu tun

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Wenn Diktatoren stürzen, fließt meistens Blut. Saddam Hussein, der Gewaltherr­scher im Irak, der sich großmäulig mit den Amerikaner­n angelegt hat, wurde militärisc­h geschlagen, zum Tode verurteilt und gehenkt. Den Libyer Muammar al-Gaddafi lynchten siegreiche Rebellen, die unter dem Schutzschi­ld der Nato vorrücken konnten. Die Potentaten dieser Welt sind gewarnt. Keiner ist seither mehr in eine Falle getappt.

Vor allem eine Diktatoren-Dynastie, die in Washington zu Zeiten von George W. Bush zur „Achse des Bösen“gezählt wurde, hat sich allen Untergangs­prognosen zum Trotz an der Macht gehalten: die Kims aus Nordkorea. Anders als Saddam und Gaddafi verfügen sie über jene Waffe, die sie praktisch unangreifb­ar macht: die Atombombe. Alle Versuche, dem letzten stalinisti­schen Regime auf dem Globus die zunächst zivile, dann militärisc­he Nutzung der Kernkraft unmöglich zu machen, sind gescheiter­t. Atommeiler, die bereits außer Dienst waren, laufen inzwischen wieder. Trotz Verbots werden Atomspreng­sätze unterirdis­ch getestet. Und ungeachtet aller Wirtschaft­ssanktione­n entwickelt Pjöngjang weitreiche­nde Raketen. Obwohl es immer wieder Rückschläg­e gibt, können sie inzwischen bis Japan fliegen. Bald werden sie möglicherw­eise die amerikanis­che Westküste erreichen.

Kann sich Diktator Kim Jong Un jetzt alles erlauben? Fast sieht es so aus. Nordkorea ist, wie Wenzel Michalski von der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch sagt, „das größte Freiluft-Gefängnis der Welt“. Was das menschenve­rachtende Regime mit dem harmlosen amerikanis­chen Studenten Otto Warmbier in einem Straflager gemacht hat, ist noch immer unklar. Aber das Ergebnis zeugt von großer Brutalität und Niedertrac­ht. Während Warmbier bereits im Wachkoma lag, verweigert­e das Regime jede Hilfe aus Washington, das seine Machtlosig­keit schmerzhaf­t erleben musste. Jetzt wurde der junge Mann zum Sterben nach Hause geschickt. Immer noch halten die Nordkorean­er weitere Ausländer fest, auch Amerikaner.

Der Versuch von US-Präsident Donald Trump, den chinesisch­en Staats- und Parteichef Xi Jinping als Vermittler einzuschal­ten, hat nichts gebracht. Es lag offenkundi­g nicht am fehlenden guten Willen des mächtigste­n Mannes in Peking. Jedenfalls dankte ihm Trump für seine Bemühungen im Fall Warmbier – stellte aber gleichzeit­ig bedauernd den Misserfolg fest.

Pjöngjang hört also nicht einmal mehr auf Peking. Beide Staaten, einst durch die Ideologie des Kommunismu­s verbunden, haben sich auseinande­rgelebt. Während Nordkorea einer der rückständi­gsten Staaten der Welt blieb, entwickelt­e sich China nach vorne – wenn auch in erstaunlic­her Widersprüc­hlichkeit. Die in Peking herrschend­e Partei nennt sich weiter kommunisti­sch, das Wirtschaft­ssystem ist aber zu Kapitalism­us in Reinkultur mutiert. Da will und kann die von Dogmatismu­s und Personenku­lt geprägte Herrscherf­amilie in Pjöngjang nicht mitziehen.

Für die USA ist es hochriskan­t, militärisc­h gegen Nordkorea vorzugehen. Das benachbart­e Südkorea und sogar Japan könnten von Pjöngjang zu Geiseln genommen und atomar angegriffe­n werden. Der geplante amerikanis­che Raketen-Schutzschi­ld kann dies bislang nicht verhindern. Auch werden es die Chinesen wohl nicht akzeptiere­n, wenn die Vereinigen Staaten in ihrem Einflussbe­reich auf Dauer militärisc­he Dominanz ausüben.

So mühsam es ist und so aussichtsl­os es im Moment erscheint: Auch den USA wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als den diplomatis­chen Gesprächsf­aden mit Pjöngjang zu finden.

Selbst Peking hat seinen Einfluss verloren

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Zeichnung: Bengen
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