Landsberger Tagblatt

Brüssel hat großes Glück gehabt

Ein Defekt verhindert im Bahnhof der belgischen Hauptstadt womöglich eine Katastroph­e

- VON DETLEF DREWES Brüssel

Am Morgen nach dem vereitelte­n Anschlag in Brüssel zieht Eric Van der Sijpt ein nüchternes Fazit: „Der Täter wollte mehr Schaden anrichten, als er es getan hat“, sagt der Sprecher der Staatsanwa­ltschaft in der belgischen Hauptstadt. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Wie viel Glück die vielen hundert Menschen hatten, die am Mittwochab­end im Hauptbahnh­of unterwegs waren, stellte sich erst heraus, als die Ergebnisse der Ermittler gestern offengeleg­t wurden. Um 20.45 Uhr, so rekonstrui­erte die Staatsanwa­ltschaft den Ablauf, explodiert in den Gängen unterhalb des Bahnhofsge­bäudes ein Koffer. Es gibt eine Stichflamm­e, die der 23-jährige Rémy Bonnaffé, ein Anwalt aus Gent, mit dem Mobiltelef­on fotografie­rt. Die Verpuffung sieht harmlos aus. Was da noch niemand weiß: In dem Koffer befanden sich mehrere Gasflasche­n und kiloweise Nägel. Eine Detonation hätte in den Gängen mit den niedrigen Decken viele Menschen getroffen und möglicherw­eise Todesopfer gefordert.

Ein technische­r Defekt verhindert, dass es zu dem Anschlag kommt, den der 36-jährige mutmaßlich­e Täter, ein Mann mit marokkanis­chen Wurzeln aus der Hauptstadt­gemeinde Molenbeek, offenbar geplant hatte. Doch auch die Explosion reicht, um eine Panik auszulösen. Hunderte laufen schrei- end ins Freie, die schwer bewaffnete­n Soldaten stürmen stattdesse­n in das Gebäude und schießen mehrfach auf den mutmaßlich­en Täter. Man lässt ihn noch lange am Boden liegen, weil nicht ausgeschlo­ssen werden kann, dass er einen Sprengstof­fgürtel trägt. Erst später wird er in ein Krankenhau­s gebracht, wo er dann im Laufe der Nacht stirbt.

Die Identität des Mannes, so betont Innenminis­ter Jan Jambon, sei bekannt, werde mit Blick auf laufende Ermittlung­en aber noch zurückgeha­lten. „Wir behandeln das als Terroransc­hlag“, hatte Van der Sijpt bereits am Abend erklärt.

Rund um den Zentralbah­nhof wird alles abgesperrt. Brüssels wichtigste­s Touristenz­entrum, der Grand Place, aber hat weiter geöffnet. Es ist ein lauer Sommeraben­d, niemand will eine Panik in der Innenstadt riskieren. Das Chaos spielt sich weiter außerhalb ab. Unmittelba­r nach der Tat unterbrech­en die Sicherheit­sbehörden alle Zugverbind­ungen, auch die großen internatio­nalen Linien nach Deutschlan­d, Frankreich, in die Niederland­e und nach Großbritan­nien. Erst am Morgen läuft der Zugverkehr für einige Stunden wieder normal, bis die nächste Hiobsbotsc­haft eintrifft: Nach der Entdeckung eines verdächtig­en Gepäckstüc­kes lässt die Polizei den Bahnhof des Brüsseler Vorortes Namur räumen. Der Alarm kann erst Stunden später aufgehoben werden.

Premiermin­ister Charles Michel dankte gestern den Soldaten, die sofort entschloss­en gegen den Täter vorgegange­n waren und ihn neutralisi­ert hatten. Die schwer bewaffnete­n Einheiten der belgischen Armee, die seit den Anschlägen vom 22. März vergangene­n Jahres in Brüssel alle sensiblen Gebäude und Verkehrskn­otenpunkte bewachen, werden verstärkt. Damals waren 32 Menschen durch Bomben am Flughafen und in einem Metro-Zug ums Leben gekommen. Dieses Mal hat Brüssel tatsächlic­h Glück gehabt.

Die Identität des Mannes hält die Polizei noch geheim

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