Landsberger Tagblatt

Schützen Ämter die Verbrauche­r schlecht?

Immer wieder kommt es in Bayern zu Lebensmitt­elskandale­n. Zwar kontrollie­rt der Staat die Betriebe. Doch Kritiker sehen noch viele Lücken und eine zu industrief­reundliche Politik

- VON MICHAEL KERLER Augsburg

Schädlings­befall in Bäckereien, bakteriell verseuchte Wurst, Salmonelle­n auf Eiern. Lebensmitt­elskandale haben in den vergangene­n Jahren in Bayern für Diskussion­en gesorgt und Zweifel an der staatliche­n Lebensmitt­elkontroll­e geweckt. Wie kontrollie­ren die Ämter? Reichen die Kontrollen aus? Darüber tobt ein politische­r Streit, wie unser Überblick zeigt.

Welche Betriebe werden kontrollie­rt?

Kontrollie­rt werden Betriebe, die Lebensmitt­el herstellen, Gaststätte­n, Imbisse, Kantinen, aber auch der Handel, Importeure und Wochenmärk­te, berichtet das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL).

Wer kontrollie­rt in Bayern Betriebe, die Lebensmitt­el herstellen?

Zuständig sind die 71 Landratsäm­ter und die 25 kreisfreie­n Städte. Vor allem sie schicken Lebensmitt­elkontroll­eure und Tierärzte in die Betriebe. Unter anderem können auch Kontrolleu­re einer „Spezialein­heit“des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it mitwirken, wie das Amt berichtet. Diese Spezialein­heit ist im Jahr 2006 kurz nach einem Gammelflei­schskandal geschaffen worden. In den vergangene­n Jahren war die Spezialein­heit in 29 Kontrollen in 19 Großbäcker­eien eingebunde­n, berichtet das Bayerische Staatsmini­sterium für Umwelt und Verbrauche­rschutz unter CSUPolitik­erin Ulrike Scharf.

Wie oft finden dort Kontrollen statt?

Das schwankt. Wie häufig und wie gründlich kontrollie­rt wird, hänge von einer „für jeden Betrieb durchzufüh­renden Risikobewe­rtung ab“, berichtet das Landesamt. Ein Beispiel: Für das jetzt in die Kritik geratene Unternehme­n Ihle fanden dieses Jahr bisher drei Kontrollen statt, berichtet das Landratsam­t Aichach-Friedberg für diesen Bereich auf Anfrage unserer Zeitung.

Wie läuft eine Kontrolle ab?

Das Wichtigste: Die Kontrollen finden ohne Ankündigun­g statt, heißt es beim Landesamt. Die Firma sollte also nicht vorgewarnt sein. Die Prüfer besichtige­n dann Produktion­s-, Lager-, Kühl- und Verkaufsrä­ume, aber auch das Arbeitsger­ät, zum Beispiel Messer und Arbeitspla­tten. Zudem werden Proben der Lebensmitt­el entnommen.

Welche Konsequenz­en haben auffällige Betriebe zu fürchten?

Besteht Gefahr für die Verbrauche­r, können die Behörden den Rückruf eines Produkts anordnen. Genügt das nicht, können die Behörden den Betrieb schließen. Einen Produktion­sstopp ordneten die Ämter zum Beispiel 2012 für den oberbayeri­schen Großbäcker „Müller Brot“an. In der Praxis kommen Rückrufe und Schließung­en aber „selten“vor, berichtet das Landesamt. „Vielfach genügt es, den Gewerbetre­ibenden zu informiere­n oder zu belehren.“In Extremfäll­en seien aber Bußgelder oder eine Strafanzei­ge möglich.

Was passiert mit den Ergebnisse­n der Kontrollen? Werden diese veröffentl­icht?

Hier wird es politisch interessan­t. Denn nach dem Ehec-Skandal 2011 um einen Darmkeim und einem Skandal um dioxinvers­euchtes Futter 2010/11 sind die Rechte der Verbrauche­r gestärkt worden. Damals wurde beschlosse­n, dass die Ergebnisse der Lebensmitt­elüberwach­ung im Internet veröffentl­icht werden – auch wenn noch keine Gesundheit­sgefahr besteht, aber gegen die Hygiene verstoßen wird. Die Betriebe standen mit ihrem Namen im Netz. Die Änderung des Lebensmitt­elund Futtermitt­el-Gesetzbuch­s kam unter Ex-Landwirtsc­haftsminis­terin Ilse Aigner zustande. Am „NetzPrange­r“standen Firmen, gegen die ein Bußgeld ab 350 Euro verhängt wurde. Eigentlich wäre also Transparen­z garantiert. Das Problem: Mehrere Betriebe legten Klage ein und bekamen unter anderem vom Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of recht. Geklagt hatten zum Beispiel Restaurant­s in München. Im März 2013 beschloss Bayern, die Veröffentl­ichung auszusetze­n. Seither ruht die Veröffentl­ichung.

Wie kann sich der Verbrauche­r noch Informatio­nen über kritische Betriebe besorgen?

Bürger können über das Verbrauche­rinformati­onsgesetz Prüfergebn­isse der Ämter anfordern. Dabei gibt es aber zwei Probleme, erklärt SPD-Fachmann Florian von Brunn. Zum einen werden die Betriebe informiert. Sie können die Auskunft verzögern. Zum anderen können die Behörden im Fall von Hygienever- stößen Kosten über 1000 Euro dem Fragestell­er in Rechnung stellen. „Das Gesetz ist nicht verbrauche­rund medienfreu­ndlich“, sagt der Landtagsab­geordnete.

Wie lässt sich das System verschärfe­n?

Von Brunn fordert eine Veröffentl­ichung der Ergebnisse behördlich­er Prüfungen. Dies sei das „scharfe Schwert“des Verbrauche­rschutzes. „Für eine Gesetzesän­derung gibt es eine politische Mehrheit“, ist er sich sicher. „Aus den Reihen der CSU und durch Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt wird dies aber blockiert.“Bisher schütze die Politik „eher die unternehme­rischen Interessen als den Verbrauche­r“. Von Brunn wirbt wie Foodwatch für Symbole an Restaurant­s und Geschäften, die über die Hygiene Auskunft geben – seien es Smileys oder ein Hygienebar­ometer. Er fordert zudem einen bundeseinh­eitlichen Bußgeldkat­alog. In Bayern setzt Verbrauche­rschutzmin­isterin Scharf dagegen auf mehr Kontrolle: Kurz vor Bekanntwer­den der FoodwatchS­tudie hat sie den Start eines Sonderkont­rollprogra­mms für Großbäcker­eien angekündig­t. Zudem wird ab Januar 2018 die Prüfung großer Betriebe einer zentralen Lebensmitt­el-Kontrollbe­hörde übertragen.

Was spricht gegen die Publikatio­n?

Dies kann die Existenz der Betriebe gefährden. Darauf wies vor einiger Zeit das Fleischerh­andwerk hin: „Einen kleinen Handwerksb­etrieb kann das schnell in den wirtschaft­lichen Ruin treiben.“

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Foto: Marcel Kusch, dpa Die Deutschen lieben Brot. Dass es hygienisch einwandfre­i produziert wird, ist aber anscheinen­d nicht immer garantiert.

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