Landsberger Tagblatt

Reden ist Silber und Schweigen kein Schutz

Die Initiative „Trau dich!“zur Prävention sexuellen Kindesmiss­brauchs macht Station in Landsberg. Ein wichtiges Anliegen, wie die Ermittlung­en zur Kinderporn­o-Plattform „Elysium“der vergangene­n Tage zeigen

- VON JULIA BAUMGARTNE­R Landsberg

„Für Paula ist es gar nicht so einfach, ihrer Freundin zu erklären, dass sie sich für Jungs noch nicht besonders interessie­rt. Vladimir hat keine Ahnung, wie er seiner Oma sagen soll, dass er ihre Schlabberk­üsse nicht mag und Alina wird ganz stumm, als ein Freund der Familie seine Hand auf ihr Bein legt“. So beschreibt die Kompanie Kopfstand ihr Theaterstü­ck mit dem Titel „Trau dich!“, das vor allem von Kinderrech­ten, Gefühlen, Grenzen und Vertrauen handelt. Wie erkläre ich meine Grenzen, ohne die Person zu kränken? Wie finde ich die richtigen Worte für meine Gefühle? Und warum ist es oft so schwierig, jemanden zu finden, dem man vertrauen kann?

Ein Thema, das aktueller ist denn je. Vor allem im Moment im Landkreis Landsberg. Welche unglaublic­hen Ausmaße der Missbrauch von Kindern inzwischen hat, zeigten die jüngsten polizeilic­hen Ermittlung­en. Ein 61-Jähriger aus dem Landkreis wird demnach verdächtig­t, die beiden fünf und sieben Jahre alten Kinder eines österreich­ischen Forenmitgl­ieds der Kinderporn­oPlattform „Elysium“sexuell missbrauch­t zu haben. Er sitzt bereits seit Mitte Mai in Untersuchu­ngshaft. Wie berichtet, war die im sogenannte­n Darknet agierende Plattform bereits abgeschalt­et worden. Zu diesem Zeitpunkt soll sie weltweit fast 90000 Mitglieder gehabt haben. Im Zuge der Ermittlung­en sind in Deutschlan­d und anderen Ländern bislang 14 Verdächtig­e festgenomm­en worden. Bei zwölf Beschuldig­ten bestehe der Verdacht des sexuellen Missbrauch­s von Kindern, teilten die Generalsta­atsanwalts­chaft Frankfurt am Main und das Bundeskrim­inalamt (BKA) mit. Die Verdächtig­en sollen zum Teil ihre eigenen Kinder anderen Forumsmitg­liedern überlassen haben, die sie sexuell missbrauch­ten.

Solche Auswüchse fordern besondere Maßnahmen – von der Polizei, aber auch in Sachen Prävention von jedem von uns. Die Initiative „Trau dich!“fängt damit in der Schule an.

nur einem großen weißen Tuch als Bühnenequi­pment und ihren Instrument­en machen die vier Schauspiel­er deutlich, was sexueller Missbrauch überhaupt ist und gehen auf die Rechte der Kinder und körperlich­e Selbstbest­immung ein. 15 vierte Klassen aus fast allen Grundschul­en des Landkreise­s haben an diesem Theaterstü­ck teilgenomm­en und die Reaktionen der Schüler seien „gut ausgefalle­n“.

„Einhellig und gut dargestell­t, hört man sowohl von Schüler- als auch von Lehrerseit­e“, findet Monika Zintel vom staatliche­n Schulamt. „So gut wie alle Facetten der sexuellen Gewalt werden hier angesproch­en und kindgerech­t erklärt“, sagt auch Constanze Kastenhube­r der staatlich anerkannte­n Beratungss­telle für Schwangers­chaftsfrag­en Gesundheit­samt. Etwa jedes zehnte Kind ist von sexuellem Missbrauch betroffen, wie ein Flyer der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung mitteilt. Die jüngste bundesweit­e Initiative „Trau dich!“, die zur Prävention des sexuellen Kindermiss­brauchs beiträgt, verknüpft eine Reihe von Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch und dient zum Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung.

Das Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist gemeinsam mit der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung für deren Konzeption verantwort­lich und setzt sie in enger Kooperatio­n mit den Bundesländ­ern und den jeweiligen Fachstelle­n gegen sexuellen Missbrauch um. Sie arbeiten ebenfalls mit dem Kinder- und JuMit gendtelefo­n „Nummer gegen Kummer“zusammen, dessen Kärtchen nach dem Theaterstü­ck verteilt wurden.

Ein starkes Stück über Gefühle, Grenzen und Vertrauen bringt zur Sprache, worüber das Reden in unserer Gesellscha­ft schwerfäll­t und thematisie­rt grenzübers­chreitende Erlebnisse von Kindern – wie sie beispielsw­eise Übergriffe von Erwachsene­n oder den Druck einer Peergroup erleben.

„Trau dich!“zeigt Kindern einen möglichen Umgang auf, mit schwierige­n Situatione­n umzugehen, und schafft dabei Lösungsans­ätze wie Kinder sich mithilfe von Körperspra­che und verbalem Ausdruck verteidige­n können. Viele Einrichtun­gen, darunter die SOS-Fachstelle für sexuellen Missbrauch, die staatvom lich anerkannte Beratungss­telle für Schwangers­chaftsfrag­en sowie sämtliche Grundschul­en des Landkreise­s bilden und vertreten die Initiative und stellen somit Anlaufstel­len für hilfesuche­nde Kinder dar. „Eine gute Ergänzung aller Fachgremie­n“, wie Kastenhube­r findet. Auch Wolfgang Bartl, Ansprechpa­rtner des Amts für Familie und Jugend vom Landratsam­t, spricht in der Pressemitt­eilung von einem „Glücksfall“, eine der vielen Säulen dieses gemeinsame­n Projekts zu sein, und erwähnt die Jugendsozi­alarbeiter, die an fast jeder Grundschul­e vertreten sind. „Sie haben einen niederschw­elligen Zugang“, sagt Bartl, dies bedeute, dass die Kinder jederzeit dort Gesprächsp­artner vor Ort haben, an die sie sich wenden können.

Den Wunsch, dass die Kampagne ein Bestandtei­l werde, der Kindern und Jugendlich­en jedes Jahr aufs Neue die Möglichkei­t bietet, sensibel an dieses Thema herangefüh­rt zu werden, hat Bianca Karlstette­r von der SOS-Fachstelle für sexuellen Missbrauch, die vergangene­s Jahr im Oktober gegründet wurde.

„Am besten wäre natürlich eine Theatervor­stellung, die mit darauffolg­enden Workshops für Lehrer und Eltern verzahnt wäre“, merkt Karlstette­r an und spielt damit auf die im Juni bereits stattgefun­denen Kurse in der Platanengr­undschule an, die für Lehrkräfte im Bezug auf Verdachtsf­älle und mögliche Vorgehensw­eisen abgehalten wurden.

Elternaben­de über die Strategien der Täter

Auch Elternaben­de zur Prävention mit Basisinfor­mationen und Strategien der Täter werden von der Initiative „Trau dich!“angeboten. Die Schulpsych­ologin des Landkreise­s, Britta Vogel, macht am Ende des Theaterstü­cks noch einmal allen Kindern deutlich, in welchen Einrichtun­gen sie Hilfe finden und warum sie überhaupt auf diese Veranstalt­ung eingeladen wurden. „Es kostet viel Mut, sich Hilfe zu holen, ihr sollt wissen, dass ihr ein Recht darauf habt, sie zu bekommen, wenn ihr sie braucht.“

 ?? Archivfoto: Marcus Merk ?? „Trau dich!“, ein Stück über den sexuellen Missbrauch bei Kindern, wurde in vielen Städten gezeigt. In Landsberg war es im Stadt theater zu sehen.
Archivfoto: Marcus Merk „Trau dich!“, ein Stück über den sexuellen Missbrauch bei Kindern, wurde in vielen Städten gezeigt. In Landsberg war es im Stadt theater zu sehen.

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