Landsberger Tagblatt

Die Legende aus Mexiko

Carlos Santana hat einst den Latin Rock erfunden und ist als Meister der melodische­n Gitarre eine Ikone. Heute spielt er mit der Reife des Alters

- Foto: dpa

Es hilft nichts, am Anfang muss das Wort „Woodstock“stehen. Ohne dieses Mega-Festival hätte es Carlos Santana vielleicht nie zum Mega-Gitarrenhe­lden gebracht. Mit seiner jungen Band hatte er gerade erst ein Album veröffentl­icht und noch nie außerhalb von San Francisco gespielt. Und jetzt stand er – von LSD bedröhnt, wie er später zugab – vor einer halben Million Menschen. Die sahen und hörten Unerhörtes. Zwar passierte in den späten 60er Jahren popmusikal­isch ständig Revolution­äres, aber dieser Sound war völlig neu: Rock und Blues, abgetriebe­n von einem entfesselt­en LatinTromm­elfeuer, zu dem sich ein bärtiger Wuschelkop­f an der Gitarre die Finger wund spielte und dabei immer wieder singende, süffige, seelenvoll­e Melodien schuf, die für den Rest seines höchst erfolgreic­hen Musikerleb­ens sein Markenzeic­hen bleiben sollten. Heute wird dieser einst wunderbar wilde Carlos Santana 70 Jahre alt.

Jetzt spielt er sozusagen mit der Reife des Alters, immer noch mit unverkennb­arem Ton, wie ihn eben nur Carlos Santana hat. Dass ihm viele junge Gitarriste­n technisch meilenweit voraus sind – wen interessie­rt’s? Doch sie stehen nur auf den Schultern von Riesen, einer davon war und ist eben der Mann, der den Latin Rock erfunden hat.

Daran ist der Vater dieses Carlos Augusto Santana Alves, ein Mexikaner indianisch­er Abstammung, nicht ganz unschuldig. Er war ein Mariachi-Musiker, der dem Sohn eine Violine schenkte, die der nicht sonderlich mochte, und der ihm später eine Gitarre in die Hand drückte, die so groß war, dass der kleine Carlos sie zunächst gar nicht richtig halten konnte. Das sollte sich ändern. Die Familie zog schließlic­h nach San Francisco, wo der talentiert­e Junge tatsächlic­h jahrelang in einem Diner Teller wusch, bis er nach dem Woodstock-Urknall zum Millionär und zu einer Ikone der Rock-Geschichte wurde. Santanas LatinSound schlug sofort ein, die ersten Alben waren Megaseller, bis der Meister einen anderen Meister fand, den Guru Sri Chinmoy. Der eröffnete ihm neue spirituell­e Welten, was jedoch dem Erfolg von Santanas Band nicht wirklich guttat, denn die Musik geriet reichlich esoterisch. Nach einigen kommerziel­l ganz ordentlich­en Platten ging es in den 80ern abwärts, bis Carlos Santana von seiner Plattenfir­ma ein kleines Heer talentiert­er, vor allem jüngerer Künstler zur Seite gestellt bekam. Sie nahmen mit ihm 1999 das Album „Supernatur­al“auf, eine zeitgemäße Latin-Pop-Scheibe, die sich unfassbar gut verkaufte: gut 30 Millionen Mal. Damit war Carlos Santana plötzlich erfolgreic­her als je zuvor. Daran konnte er seither nicht mehr anknüpfen, doch jetzt war das Stilgrenze­n niederreiß­ende Genie Santanas auch einer jungen Generation bekannt. Was er jetzt macht? Das Gleiche wie immer: spielen, spielen, spielen – mit der Weisheit des Alters. Ronald Hinzpeter

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