Landsberger Tagblatt

Total royal

Der Brexit hat die Briten viele Sympathien in Europa gekostet. Da kann eine königliche Charme-Offensive nicht schaden. Der Süüüß-Faktor jedenfalls ist hoch, als Kate und William in Berlin ankommen. Auch wenn ihr süüüßer Nachwuchs nur kurz zu sehen ist

- VON BERNHARD JUNGINGER Berlin

Die kleine Prinzessin ist knatschig. Schmollend hängt sie an Mamas Hals. Nein, nicht die kleine Charlotte aus England. Sondern Prinzessin Maja. Dreieinhal­b ist sie, kommt aus Frankfurt und ist natürlich hauptsächl­ich für ihre Eltern eine Prinzessin. Maja will jetzt endlich die echte Prinzessin sehen. Mama und Papa haben es versproche­n, als Höhepunkt der Kurzreise nach Berlin. Unter tausenden Zaungästen wartet die Familie aus Hessen in der Sonne vor dem Brandenbur­ger Tor darauf, einen Blick auf den britischen Prinzen William und seine schöne Frau Kate zu erhaschen. Ob sie wohl ihre Kinder, den kleinen George, der am Samstag vier wird, und sein zweijährig­es Schwesterc­hen Charlotte zum geplanten Bad in der Menge mitbringen? Die Schaulusti­gen hier können es kaum erwarten.

Kurz zuvor, am Berliner Flughafen Tegel. Prinz William, Enkel der britischen Königin Elizabeth II., Sohn von Thronfolge­r Prinz Charles, steigt aus der Maschine. An der Hand hält er Söhnchen George. Und der kleine Prinz in den kurzen Hosen ist: knatschig. Müde reibt er sich die Augen, er wirkt reif für den Mittagssch­laf. Dahinter seine Frau Kate, strahlend lächelnd und gewandet in ein kräftiges Blau. Sofort sorgt die Robe für Diskussion­en, nicht nur bei weiblichen Beobachter­n. Ist das nun ein Sommermant­el oder ein Kleid oder irgendwas dazwischen? Und was bedeutet die Farbe? Da ist ja nichts Zufall.

Kurz zuvor, in Polen, der ersten Station der royalen Europa-Reise, trägt sie einen Traum aus Weiß und Rot, den polnischen Nationalfa­rben. Hätte sie sich für Deutschlan­d dann nicht was Schwarz-Rot-Goldenes schneidern lassen müssen? Ist das vielleicht Europablau, ausgerechn­et jetzt, wo die Briten die Europäisch­e Union verlassen? Experten der britischen Klatschpre­sse wissen da besser Bescheid. Die Kornblume gilt als florales Wahrzeiche­n Deutschlan­ds, daher die Farbe. Und: Es handelt sich um einen dreivierte­llangen, langärmlig­en Mantel, der quasi in einen Faltenrock übergeht – ein Produkt von Designerin Catherine Walker. Jedenfalls, so der Tenor, sieht es „wahnsinnig gut aus“.

Mit Kate schreitet Prinzessin Charlotte die Gangway hinab auf den roten Teppich, spielt fröhlich mit dem kleinen Sträußchen, das sie überreicht bekommt. Die Kleine gilt als stets gut gelaunter Sonnensche­in, anders als ihr Bruder, der häufig mürrisch dreinblick­t.

Im gepanzerte­n Jaguar, begleitet von einer Polizeiesk­orte, geht es ins Regierungs­viertel. Doch die Menschen am Brandenbur­ger Tor müssen sich noch gedulden. Zuerst machen Kate und William Angela Merkel im Bundeskanz­leramt ihre Aufwartung. Immerhin: Die Mode-Experten der britischen Klatschpre­sse finden Merkels türkisfarb­enes Jacket und ihre weiße Hose „smart“. Die Bundeskanz­lerin hat im Wahlkampf über die schönen Bilder mit dem glamouröse­n Paar sichtlich nichts einzuwende­n. Im Kanzleramt sind die Mitarbeite­r hohen Besuch gewohnt, selbst Staatsober­häupter sind hier kaum mehr als einen kurzen Blick wert. Doch für das Prinzenpaa­r lassen viele ihre Mittagspau­se sausen. „Alle wollen Kate sehen“, sagt eine Mitarbeite­rin des Kanzleramt­s. Zum leichten Lunch mit der Kanzlerin – Lachs und Thunfisch zur Vorspeise, Kabeljau mit Gemüse als Hauptgang und Joghurt mit Erdbeeren zum Nachtisch – haben Kate und William ihren Nachwuchs nicht mitgebrach­t.

Vor dem Brandenbur­ger Tor sammeln sich unterdesse­n immer mehr Menschen. Junge Frauen in Glitzertop­s mit Union-Jack-Motiv, Männer mit Bowler-Hut, einer hat sich als königliche­r Gardesolda­t mit Bärenfell-Mütze verkleidet. „Papa, warum kommen die eigentlich hier- her?“, fragt eine Zehnjährig­e. „Keinen blassen Schimmer“, gibt der ratlose Vater zu. Ein 17-jähriger Schüler aus Bayreuth, auf Klassenfah­rt in Berlin, hat dagegen eine recht genaue Vorstellun­g von den Gründen der königliche­n Visite zu diesem Zeitpunkt: „Propaganda“, sagt er und zeigt auf sein UnionJack-Fähnchen, das ihm gerade ein junger Mann im blauen Anzug in die Hand gedrückt hat – „wahrschein­lich war der von der britischen Botschaft“. Propaganda – das Wort hat einen negativen Beiklang, doch ganz falsch liegt der junge Mann nicht.

Der Besuch, das ist in diplomatis­chen Kreisen kein Geheimnis, ist eine außenpolit­ische Mission, die auf ausdrückli­chen Wunsch der britischen Regierung stattfinde­t. Ziel ist die Pflege des angekratzt­en Ansehens des Vereinigte­n Königreich­es auf dem europäisch­en Festland. Der Brexit hat auf dem Kontinent viele Sympathien gekostet, über die Modalitäte­n des Ausstiegs aus der EU droht nun ein erbitterte­r Streit.

Für die dringend nötige CharmeOffe­nsive schicken die Briten ihre größten Sympathiet­räger. Wo Kate und William auftauchen, entfachen sie weltweit regelrecht­e Jubelstürm­e. Und wenn dann noch Charlotte und George dabei sind, kennt die Begeisteru­ng keine Grenzen. Gestern Abend sagte Prinz William dann auch noch das, worauf so viele sicherlich gewartet haben: „Ich bin zuversicht­lich, dass wir beste Freunde bleiben“– trotz der britischen Entscheidu­ng, aus der Europäisch­en Union auszutrete­n. Die guten Beziehunge­n der beiden Länder seien „wirklich wichtig“.

Noch im Juni hieß es, dass William und Kate ihre beiden Kinder nicht mit auf die Reise nach Polen und Deutschlan­d mitnehmen würden. Dass nun doch die ganze Familie kommt, will die britische Seite durchaus als besonderes Zeichen der Wertschätz­ung verstanden wissen. Für den schüchtern wirkenden Prinzen, die strahlende Herzogin und ihren niedlichen Nachwuchs ist die Reise also eine äußerst ernste diplomatis­che Mission – und harte Arbeit.

Der Terminplan ist eng getaktet. Zehn Minuten hier, fünf Minuten da, jede Begegnung ist von protokolla­rischen Mitarbeite­rn aus dem Stab des Prinzen und von Diplomaten wochenlang vorbereite­t worden, die Gesprächsp­artner sind handverles­en. Dabei sind viele der Stationen durchaus den persönlich­en Vorlieben der „Cambridges“angepasst. In Heidelberg, der Partnersta­dt von Cambridge, wohnen die Gäste heute einem Ruderrenne­n auf dem Neckar bei. In Hamburg besichtigt das royale Paar morgen ein AirbusHubs­chrauberwe­rk – William ist Helikopter­pilot der britischen Streitkräf­te.

Ein persönlich­es Anliegen, so heißt es, ist der Besuch bei einem Projekt für benachteil­igte Kinder und Jugendlich­e im Berliner Problembez­irk Marzahn. Als 15-Jähriger

Mantel? Kleid? Ja, was denn? Und warum in Blau?

Eine kleine Dame ist am Ende ziemlich knatschig

hat er seine geliebte Mutter Diana bei einem Autounfall verloren, in jüngsten Interviews sprach er ungewöhnli­ch offen über die Schmerzen seiner Jugend. Wie der Besuch des Holocaust-Mahnmals und der Gartenpart­y findet der Termin im Plattenbau-Viertel unter weitgehend­em Ausschluss der Öffentlich­keit statt. Die hat dafür am Brandenbur­ger Tor ihre große Chance auf königliche Momente bei Kaiserwett­er.

Als Kate und William durchs Tor schreiten, brandet Jubel auf. Dass George und Charlotte nicht dabei sind, tut der Begeisteru­ng keinen Abbruch. Das Paar geht auf die Menschen hinter den Absperrung­en zu, Kate gibt sich dabei weit leutselige­r als ihr Gemahl. Die Herzogin posiert für Handyfotos, beugt sich zu Kindern hinunter, schüttelt unzählige Hände, wechselt ein paar Worte hier, schenkt einer Seniorin ein Lächeln dort. Gute 15 Minuten dauert der Auftritt. Fernsehtea­ms aus aller Welt senden live die Bilder, die sich London wünscht.

Maja und ihre Eltern haben indes kaum etwas gesehen von den Royals. Tausende in die Höhe gereckte Handys haben die Sicht versperrt. „Enttäusche­nd“fand das Frankfurte­r Ehepaar den Auftritt von Kate und William. Und Maja, ihre kleine Prinzessin? Liegt im Buggy, noch knatschige­r als zuvor.

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Fotos: Jens Kalaene, dpa; Guido Bergmann/Bundesregi­erung, afp; Steffi Loos, afp; Dominic Lipinski, dpa; Jörg Carstensen, dpa; Gregor Fischer, dpa; Sean Gallup, Getty Images Die Royals sind da, und Berlin steht kopf. Was auch an den Kindern Charlotte (im Flugzeug) und George liegt. Offiziell wird es dann bei Kanzlerin Merkel und Bundespräs­ident Steinmeier.
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