Landsberger Tagblatt

Wann lässt Draghi die Zinsen steigen?

Vor der heutigen Sitzung der Zentralban­k macht das Wort der „Zinswende“die Runde. Wie bald sie wirklich ansteht und was das für Sparer und Häuslebaue­r bedeutet

- VON MICHAEL KERLER Augsburg Verwerfung­en an den Märkten Staatsschu­lden Konjunktur Foto: Arne Dedert, dpa

Bankkunden erleben eine verkehrte Welt. Wer über das Portal Smava in Berlin einen 1000-EuroKredit nimmt, erhält sechs Euro geschenkt. Umgekehrt müssen Sparer mit sehr viel Geld bei einigen Instituten bereits Strafzinse­n zahlen. Nun macht allerdings auch hierzuland­e das Wort der „Zinswende“die Runde. Grund ist die heutige Sitzung der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Reißen EZB-Chef Mario Draghi und seine Kollegen bald das Ruder herum und heben die Zinsen an? Viele Bankfachle­ute machen Druck. Es sei „Zeit für den Ausstieg“aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k forderte unlängst zum Beispiel Wolfgang Kirsch, Chef der genossensc­haftlichen DZ-Bank.

Doch die Diskussion täuscht darüber hinweg, dass der Weg zu steigenden Zinsen lang werden könnte. Darauf weist Finanzfach­mann Chris-Oliver Schickenta­nz im Gespräch mit unserer Zeitung hin. Er ist Chef-Anlagestra­tege der Commerzban­k. „Das Wort der Zinswende ist ein bisschen zu epochal für das, was gerade passiert“, meint er. Der Normalisie­rungsproze­ss stehe erst am Anfang. Noch sieht die Situation so aus, dass der Leitzins der EZB bei null Prozent liegt. Zudem pumpt die Zentralban­k Geld in den Markt, indem sie Staats- und Unternehme­nsanleihen von den Geschäftsb­anken aufkauft. Gegenwär- tig umfasst das Programm 60 Milliarden Euro im Monat und läuft bis Ende dieses Jahres.

Schickenta­nz erwartet, dass die EZB vielleicht noch nicht einmal jetzt, sondern erst im September andeutet, dass sie ihre Politik möglicherw­eise 2018 verändert. „Wir sind noch immer weit von einer ersten Zinserhöhu­ng entfernt“, sagt der Fachmann. Bevor Zinsen steigen, müsse die EZB erst ihre Anleihenkä­ufe reduzieren. Und auch dieser Prozess wird wohl dauern.

„Wir gehen davon aus, dass die Zentralban­k ab Januar 2018 rund zwanzig Milliarden Euro weniger an Anleihen pro Monat kaufen wird“, sagt Schickenta­nz. Dann werde die EZB wohl zunächst beobachten, wie sich dies auf die Märkte auswirkt. „Im Frühsommer 2018 könnte dann der nächste Schritt einer Reduktion der Käufe um nochmals 20 Milliarden Euro folgen, sodass die EZB im Herbst nächsten Jahres ganz mit den Anleihekäu­fen aufhören könnte.“Auch danach, meint Schickenta­nz, werde die EZB wohl erst einmal drei oder vier Monate die Füße stillhalte­n. „Eine Zinserhöhu­ng ist dann frühestens im Frühjahr 2019 wahrschein­lich“, sagt er.

Auch EZB-Chef Mario Draghi selbst äußert sich vorsichtig. Er stellte auf einer Tagung in Portugal Ende Juni zwar eine „graduelle Anpassung“der Notenbankp­olitik in Aussicht, mahnte aber zur Geduld: „Wir brauchen Ausdauer in unserer Geldpoliti­k“, sagte er. Als Grund für einen Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes wird häufig die anziehende Inflation genannt. Niedrige Preissteig­erungen hat die Zentralban­k stets als Begründung ihrer Nullzinspo­litik angeführt. Ein Verfall der Preise – eine Deflation – gilt als Risiko für ganze Volkswirts­chaften. Nun ziehen die Preise aber an. Die Bundesbank rechnet für 2017 mit einer Teuerung von 1,5 Prozent. Das ist bitter für die Sparer, die bei Nullzinsen einen Wertverlus­t erleiden. Doch zu stark setzt die Inflation Draghi nicht unter Druck, meint Commerzban­k-Experte Schickenta­nz. Die Kerninflat­ion liege Dass die Zinsen nicht zügiger steigen, liegt auch an den Risiken einer Zinserhöhu­ng. ● Ein Thema ist die Angst vor dem Plat zen einer Blase am Markt für Staatsanle­ihen, wenn die EZB als Käufer bald ausfällt. ● Ein Argument ist auch, dass die hoch verschulde­ten Staaten in Südeuropa höhere Zinsen kaum zahlen könnten. ● Höhere Zinsen belas ten die Unternehme­n. Fachleute sagen aber, die Konjunktur sei robust genug, sodass Firmen höhere Kre ditzinsen verkraften können (mke) noch unter dem Ziel von knapp unter zwei Prozent, das sich die EZB selbst gesetzt hat.

Entscheide­nder ist für Schickenta­nz, dass die EZB langsam die Grenzen des Anleihekau­fprogramms erreicht: Der Europäisch­e Gerichtsho­f habe der EZB das Limit gesetzt, maximal ein Drittel der Anleihen eines Landes kaufen zu dürfen. Und die EZB ist fleißig. „Diese Obergrenze wird sie in den kommenden Monaten für manche Länder erreichen“, sagt er.

Was aber bedeutet die Zinswende im Schneckent­empo für Sparer und Bauherren? Für Privatinve­storen wird die Situation in der Übergangsz­eit wohl schwierig bleiben. „Die Kurzfristz­insen werden erst einmal nicht anziehen“, sagt Schickenta­nz. „Für das Tagesgeld und das Sparbuch wird der Nullzins zunächst Realität bleiben, denn die EZB wird wohl erst 2019 den Leitzins anheben“, meint der Fachmann.

Etwas schwierige­r könnte es bald für Häuslebaue­r werden: Denn die Immobilien­finanzieru­ng hängt am langfristi­gen Kapitalmar­ktzins, erklärt Schickenta­nz. „Hier haben wir bereits den Tiefpunkt hinter uns“, sagt er. „Man merkt, dass es zunehmend schwierige­r wird, eine Hausfinanz­ierung unter einem Prozent Kreditzins hinzubekom­men.“Wenn man aber daran denkt, dass einst fünf, sechs oder sieben Prozent üblich waren, ist dies noch immer keine Katastroph­e.

Warum nicht schneller?

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Seine Politik des ultrabilli­gen Geldes ist bei deutschen Sparern unbeliebt. Wagt Mario Draghi demnächst eine Zinswende?

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