Landsberger Tagblatt

„Ich hatte Scheißangs­t“

Jürgen Heim lenkte seinen brennenden Tanklastzu­g mit 35 000 Litern Kraftstoff an Bord aus einem Wohngebiet in Schrobenha­usen. Warum er sich dennoch nicht als Held sieht

- VON SIMONE HÄRTLE Schrobenha­usen

„Ich sitze in einem brennenden Tanklastzu­g mit 25 000 Liter Diesel und 10 000 Liter Benzin – und kann nicht löschen.“Diesen Notruf setzte der Memminger LkwFahrer Jürgen Heim am Montagmitt­ag ab. Danach begann eine wilde Fahrt quer durch Schrobenha­usen. Das Ziel: Nur raus aus der Stadt, weg von den Menschen. „Was da passiert ist und wie gefährlich das war, habe ich erst Stunden später begriffen“, sagt der 49-jährige Familienva­ter. Wiederhole­n würde er seine Heldentat nicht.

Heim fährt seit 23 Jahren Gefahrgutt­ransporter. Die Strecke von Vohburg an der Donau, wo er geladen hatte, nach Memmingen kennt er in- und auswendig. Als ihm auf der B300 bei Schrobenha­usen der hintere linke Reifen geplatzt war, verließ er die Straße, stieg aus und sah, dass der Reifen brannte. Obwohl er zwölf Kilogramm Pulverlösc­hmittel im Fahrzeug hatte, war ihm klar, dass er den Brand allein in den Griff bekommen würde. Wie man in so einer Situation reagieren sollte, lernen die Fahrer in verschiede­nen Schulungen, erklärt der Memminger. Denn wer Gefahrgut lädt, der brauche einen Zusatzführ­erschein und müsse alle fünf Jahre an einem Lehrgang teilnehmen. Die Devise: Zuerst sich selbst in Sicherheit bringen.

Heim tat das Gegenteil. Er stand mitten in einem Industrieg­ebiet, neben ihm ein Autohaus mit Bürogebäud­en, 200 Meter weiter eine Tankstelle. Also setzte er sich wieder hinters Steuer, wählte den Notruf und ließ sich per Telefon aus der Stadt lotsen – über rote Ampeln hinweg, hupend und mit Vollgas durch ein Wohngebiet. „Ich bin gefahren wie ein Irrer“, sagt er. Hinter ihm schlugen die Flammen immer höher. Im Nachhinein ist er nur froh, dass ihm niemand vor das Fahrzeug gelaufen ist. „Wenn ich ein Kind überfahren hätte, wäre ich für die Leute jetzt kein Held, sondern einfach nur ein verrückter Lkw-Fahrer.“

Als Held sieht er sich ohnehin nicht: „Ich habe nur meine Arbeit gemacht.“Während des Fahrens habe er zunächst an gar nichts gedacht, außer dass er möglichst schnell aus der Stadt müsse. Richtig Angst bekam er erst, als kurz vor dem Ortsende ein zweiter Reifen platzte. Noch einer mehr, und er hätte nicht weiterfahr­en können.

Ein Sicherheit­sauflieger könne einem Brand eine Zeit lang standhalte­n, erklärt er. Aber wenn das Alunicht minium aufweiche und Kraftstoff ausläuft, werde es richtig gefährlich. Die Frage für ihn war: Wie lange hält der Tank dicht? Die Felgen und Teile des Rahmens waren schon lange geschmolze­n, sodass Heim eine Spur aus Aluminium hinter sich herzog. „Ich hatte Scheißangs­t“, sagt er. 500 Meter weiter konnte er den Tanklastzu­g auf einer Wiese vor der Stadt abstellen. Er schnappte sich sein Handy und sprang aus dem Fahrzeug. Dann kam die Feuerwehr und löschte den brennenden Lkw.

Erst Stunden später, nach einem Telefonat mit seiner völlig aufgelöste­n Frau, wurde Heim die Situation richtig bewusst. „Ich habe mich ins Gras gesetzt und geweint“, erzählt er. Ob er noch einmal so handeln würde? Da muss Heim lange überlegen: „Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht. Es klingt pathetisch, aber ich habe gemerkt, dass ich nur einmal lebe.“Er denkt darüber nach, sich einen neuen Job zu suchen. „Dann hätte ich mehr Zeit für meine Frau und meine Kinder – für die wichtigen Dinge eben.“

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Foto: Bastian Sünkel Auf einer Wiese hinter Schrobenha­usen löschte die Feuerwehr den brennenden Lkw. Ein Großteil des geladenen Kraftstoff­s konnte später in einen zweiten Tanklastzu­g ab gepumpt werden.
 ?? Foto: Martina Diemand ?? Jürgen Heim hat seinen brennenden Tanklastzu­g aus Schrobenha­usen gefah ren.
Foto: Martina Diemand Jürgen Heim hat seinen brennenden Tanklastzu­g aus Schrobenha­usen gefah ren.

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