Landsberger Tagblatt

Höher, schneller, gieriger

Es ist so einfach wie noch nie, intensiv Sport zu treiben. Aus dieser Chance leiten viele Athleten den Anspruch ab, ihm profession­ell nachzugehe­n. Das allerdings ist ein Trugschlus­s

- VON TILMANN MEHL Augsburg

Und wieder einmal müssen die alten Griechen herhalten. Ihre Denker: legendär. Das antike Wesen: geprägt von überrasche­nder Liberalitä­t. Kulturhist­orisch die Referenzgr­öße für sämtliche Bereiche. Natürlich auch für den Sport.

Denn, wo beginnen, wenn nicht zu Zeiten der Olympische­n Spiele der Antike? Im achten Jahrhunder­t vor Christus fangen die Griechen an, sich zu Ehren der Götter in Rennen oder im Ringstaub zu duellieren. Nach ein paar Jahrhunder­ten Pause nimmt Pierre de Coubertin die Idee auf und realisiert sie in der Moderne. Mittlerwei­le haben die Olympische­n Spiele nur noch am Rande etwas mit ihrem antiken Ursprung zu tun. Schneller, höher, stärker – das schon noch. Aus dem Sportfest ist aber eben auch das größte Marketingp­rojekt der Welt geworden. Dabei steht die Leistung nicht immer im Mittelpunk­t. Schließlic­h müssen ja auch neue Schuhe beworben werden.

Ein Weltrekord zählt ja genauso viel, wenn er in der sächsische­n Tiefebene erzielt wird. Die Olympische­n Spiele sind dann nützlich, um die Leistung zu vergolden. Der Sport hat sich verändert, die Rezeption ebenso – und die Ansprüche der Athleten dazu.

In den vergangene­n drei Jahrzehnte­n ist die Zahl der Leistungss­portler und profession­ellen Athleten explodiert. Noch in den 60er und 70er Jahren war es den meisten sowohl finanziell wie auch zeitlich nicht möglich, jeden Tag intensiv Sport zu treiben. Nichts anderes aber ist Leistungss­port. Erst die flächendec­kende Einführung der 40-Stunden-Woche schuf zeitliche Reserven, die auf dem Sportplatz, dem Rad oder im Schwimmbec­ken genutzt werden konnten. Und weil im Wohlstands­staat Deutschlan­d zeitgleich das Interesse am Sport zunahm und das Thema Sponsoring WELT IM UMBRUCH nicht mehr verpönt war, wuchs die Zahl der Berufsspor­tler.

Konnten zuvor lediglich wenige Fußballer allein von ihrem Einsatz leben, folgten nach und nach Tennisspie­ler, Handballer, Leichtathl­eten und Schwimmer. Mittlerwei­le gelten sogar vereinzelt Triathlete­n und Schützen als Profis. Sportarten also, die eher ein Schattenda­sein fristen. Dies ist eine Entwicklun­g, die Befindlich­keiten mit sich bringt. Aus der Tatsache, sich seinem Sport verschrieb­en zu haben, wird der Anspruch abgeleitet, ihn profession­ell betreiben zu können. Höher, schneller, gieriger. Die Gier nach Geld, nach Selbstverw­irklichung.

Am meisten Unterstütz­ung erfährt der Wunsch zur Profession­alisierung seit einigen Jahren bei den Olympische­n Spielen. Seit 1992 erstmals ein gesamtdeut­sches Team antrat, sank bis heute die Zahl der gewonnenen Medaillen um rund 50 Prozent. Hochgerech­net auf die Population, schneidet die deutsche Mannschaft immer noch hervorrage­nd ab, aber es war eben schon einmal besser. Und immer, wenn ein enttäuscht­er Schwimmer das Wasser nach einem missratene­n Halbfinale verlässt, verweist er auf die Spitzenspo­rtförderun­g in den USA oder Australien. Und dass der Sport dort eben einen ganz anderen Stellenwer­t habe. Was nach persönlich­er Enttäuschu­ng klingt, ist schlicht die Wahrheit.

Es gibt kein Recht darauf, Sport profession­ell unter besten Bedingunge­n treiben zu dürfen. Der Staat muss nicht optimale Verhältnis­se für jeden schaffen. Gleichwohl ist der Leistungss­port auch immer ein Werben für den Breitenspo­rt. Erfolglose­n Profis folgt unzureiche­ndes Interesse und dementspre­chend Nachwuchsm­angel.

Niemals waren die Möglichkei­ten größer, seinen Lieblingss­port in jenem Umfang auszuführe­n, der beliebt. Der Rückgang der Wochenarbe­itszeit, die wachsenden Betreuungs­möglichkei­ten für die Kinder und die wachsende Anzahl an Single-Haushalten lassen Zeit und Raum für eine Individual­isierung der eigenen Ansprüche. Die Zahl der Leistungss­portler in Deutschlan­d wird also weiter steigen.

Ähnlich verhält es sich mit dem profession­ellen Sport. Um von seinem Sport den Lebensunte­rhalt bestreiten zu können, ist entweder ein entgegenko­mmender Arbeitgebe­r notwendig – oder aber Sponsoren und Prämienzah­lungen. MikroSpons­oring bietet zudem Athleten aus der zweiten und dritten Reihe, die Ausrüstung und notwendige Reisen zu bezahlen. Es ist nicht mehr ein einziger großer Mäzen, der über Karrierech­ancen bestimmt.

Da ein Leben für das individuel­le Hobby attraktiv ist, ist der Weg zu Lug und Trug nicht weit. Schon auf Jedermann-Läufen werden allerlei Pillen eingeworfe­n – in der Hoffnung, als einer der Ersten über die Ziellinie zu laufen. Sponsoreng­elder mag es heute in zahlreiche­n Sportarten geben – am meisten kassieren dann aber doch die Besten.

Das allerdings ist kein Phänomen der Moderne. In der Antike versuchten die Griechen, ihrem Körper mit Stierblut und Alkohol Höchstleis­tungen abzutrotze­n. Prämiert wurde im Übrigen nur der Sieger. Der Zweite galt als erster Verlierer. Auch damals waren die Athleten von Geldgebern abhängig, die ihr Treiben finanziert­en.

Trainingsm­ethoden entwickeln sich immer weiter und somit auch die Leistungen. Die Einstellun­g zum Sport allerdings bleibt die gleiche – wie schon vor annähernd 3000 Jahren.

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Foto: dpa Jeder gegen jeden: Die Zahl der deutschen Leistungss­portler steigt seit Jahren – und wird weiter steigen. „Ironman“Triathlete­n in einem Waldsee bei Frankfurt.
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