Berlin schaltet auf Angriff
Das Verhältnis zur Türkei erreicht einen neuen Tiefpunkt. Der Außenminister warnt, dass selbst Touristen Opfer der Willkür des Erdogan-Regimes werden könnten. Und Wolfgang Schäuble fühlt sich an die DDR erinnert
„Wir können gar nicht anders“, sagt Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), als er verkündet, dass Deutschland die fortgesetzten Provokationen aus der Türkei nicht länger hinnehmen will. Gerade hat sich Gabriel noch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz beraten. Nun erklärt er im Brustton der Empörung, was die Neuausrichtung der deutschen Politik gegenüber Ankara bedeutet. Damit reagiert die Bundesregierung auf die Festnahme des Menschenrechtlers Peter Steudtner in der Türkei.
So verschärft das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für die Türkei, diese werden von einzelnen Personengruppen – zum Beispiel Deutschen, die zusätzlich über einen türkischen Pass verfügen – auf alle Deutschen ausgeweitet. Wer in die Türkei reist, soll sich künftig bei der deutschen Botschaft oder in einem Konsulat registrieren lassen. Gabriel begründet das so: „Der Fall Peter Steudtner zeigt, dass deutsche Staatsbürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind.“Weil die Bundesregierung für den Schutz deutscher Bürger im Ausland verantwortlich sei, gebe es keine andere Möglichkeit, „als unsere Reise- und Sicherheitshinweise in die Türkei anzupassen, und die Deutschen wissen zu lassen, was ihnen geschehen kann, wenn sie in die Türkei reisen.“Die Türkei versuche, „jede kritische Stimme zum Schweigen zu bringen“, derer man habhaft werden könne.
Finanzminister Wolfgang Schäuble formuliert es ähnlich drastisch. Der Bild sagte er: „Die Türkei verhaftet inzwischen willkürlich und hält konsularische Mindeststandards nicht ein. Das erinnert mich daran, wie es früher in der DDR war.“Wer dort gereist sei, dem sei klar gewesen: „Wenn dir jetzt etwas passiert, kann dir keiner helfen.“
Die türkische Justiz wirft dem deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner Verbindungen zu Terrororganisationen und die Planung eines Staatsstreichs vor. Wegen ähnlicher Vorwürfe sitzen auch Deniz Yücel, Korrespondent der Welt, und die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu aus Neu-Ulm in türkischer Untersuchungshaft.
Wegen der Verhaftung Steudtners hatte Außenminister Gabriel seinen Urlaub abgebrochen, den türkischen Botschafter einbestellt und die Freilassung der deutschen Gefangenen gefordert. Nun greift die Bundesregierung im eskalierenden Konflikt mit der Türkei zu härteren Maßnahmen. Nicht nur vor Reisen in die Türkei warnt Gabriel, sondern auch vor wirtschaftlichem Engagement in dem Land, dass sich nach einem Putschversuch vor einem Jahr immer mehr in Richtung Diktatur bewegt „Man kann niemandem zu Investitionen in ein Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar völlig unbescholtene Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, sagt Gabriel.
Dabei bezieht er sich auf eine Liste mit angeblichen Terrorunterstützern, die der türkische Geheimdienst dem Bundeskriminalamt übergeben hat – mit der Bitte um Amtshilfe. Auf der Liste finden sich die Namen von Einzelpersonen und Firmen, denen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nachgesagt werden, den Erdogan für den Urheber des Putschversuchs hält. Auf der Liste finden sich neben türkischen Kleinunternehmern
„Der Fall Peter Steudtner zeigt, dass deutsche Staats bürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind.“
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel
in Deutschland auch Weltfirmen wie Daimler und BASF.
Vor diesem Hintergrund werde die Bundesregierung etwa darüber nachdenken, künftig keine Garantien mehr für Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei – sogenannte Hermes-Bürgschaften – zu gewähren. Er kündigt an, Deutschland werde mit den Partnern in der Europäischen Union über einen Stopp der sogenannten „Vorbeitrittshilfen“sprechen. Dabei handelt es sich um rund vier Milliarden Euro aus EU-Töpfen, mit denen die Türkei ihre Institutionen auf einen möglichen Beitritt vorbereiten soll. Doch ein solcher ist selbst nach Einschätzung Gabriels, der als ausgesprochen türkeifreundlich gilt, in weite Ferne gerückt.
Die Reaktion aus Ankara lässt übrigens nicht lange auf sich warten. „Wir akzeptieren das nicht“, sagt ein Erdogan-Sprecher zu den verschärften Reisehinweisen. Die Botschaft der Bundesregierung, es sei nicht sicher, in die Türkei zu reisen, nannte er „eine große politische Verantwortungslosigkeit“. ● Reisehinweis Reisehinweise enthal ten grundlegende Länderinformatio nen unter anderem über Einreisebe stimmungen, gesundheitliche Aspek te oder straf oder zollrechtliche Beson derheiten. ● Sicherheitshinweis Damit infor miert das Auswärtige Amt über län derspezifische Risiken für Reisende. Sie können auch die Empfehlung enthal ten, auf Reisen zu verzichten oder sie einzuschränken, etwa sich von politi schen Demonstrationen oder Men schenansammlungen fernzuhalten. Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. Septem ber 2001 werden hier auch Informatio nen über mögliche terroristische Be drohungen aufgeführt. ● Bei Teilreisewar nungen wird gegebenenfalls auch nur vor Reisen in bestimmte Regionen eines Landes gewarnt. Beispiel Ägypten: Auch nach dem Attentat auf zwei deutsche Urlauberinnen in dem Badeort Hurghada gibt es nur einen ge nerellen Sicherheitshinweis für das Land Ägypten. Für die Sinai Region hingegen besteht seit Jahren eine re gionale Teilreisewarnung, Reisenden wird dringend abgeraten dorthin zu fahren. ● Das Auswärtige Amt spricht Reisewarnungen aus, wenn davon ausgegangen werden muss, dass jedem Reisenden eine konkrete Ge fahr für Leib und Leben droht. Reise warnungen für ein ganzes Land wer den nur selten ausgesprochen. Aktuell gelten Warnungen beispielsweise für Libyen, Syrien, den Jemen oder Afgha nistan. ● So lautet die aktuelle Formulierung des Auswärtigen Amtes: „Zuletzt waren in der Türkei in einigen Fällen Deutsche von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen, deren Grund oder Dauer nicht nachvollziehbar war. Hierbei wur de teilweise der konsularische Zu gang entgegen völkerrechtlichen Ver pflichtungen verweigert. Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfoh len, sich auch bei kurzzeitigen Auf enthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Bot schaft einzutragen. Die Auslandsvertre tungen werden bei Festnahmen deutscher Staatsangehöriger nicht im mer rechtzeitig unterrichtet, der Zu gang für die konsularische Betreuung wird nicht in allen Fällen gewährt. Seit Anfang 2017 wurde wiederholt deutschen Staatsangehörigen an den Flughäfen in der Türkei die Einreise ohne Angabe genauer Gründe ver weigert. (… )“(mai)