Landsberger Tagblatt

Vom Flüchtling zum Obdachlose­n?

Anerkannte Asylbewerb­er müssen bald die Wohncontai­ner verlassen. Warum die Zusammenfü­hrung von Familien die Stadt und auch andere Landkreisg­emeinden vor große Herausford­erungen stellen wird

- VON DIETER SCHÖNDORFE­R Landsberg

Die Uhr tickt. Wenn all die anerkannte­n Flüchtling­e, die derzeit in Asyl-Wohnunterk­ünften noch geduldet werden, dort ausziehen müssen, kommt eine große Herausford­erung auf die Stadt Landsberg zu. Formell werden diese Menschen nämlich obdachlos, und dann ist die Stadt für sie zuständig. Dazu kommen noch anerkannte Flüchtling­e, die ihre Familien nachholen dürfen. Auch die brauchen eine Wohnung. Oberbürger­meister Mathias Neuner hat im Stadtrat bereits eine erste Konsequenz angekündig­t: So wird es in der Verwaltung ab dem kommenden Jahr einen eigenen Integratio­nslotsen geben müssen, also einen Koordinato­r, der sich unter anderem um Betreuungs- und Unterbring­ungsmöglic­hkeiten anerkannte­r Flüchtling­e kümmern soll.

Die anerkannte­n Flüchtling­e sind laut der bayerische­n Sozialmini­sterin Emilia Müller „Gemeindebü­rger“, für deren Unterbring­ung die jeweilige Kommune zuständig ist. Noch werden sie in den Unterkünft­en geduldet und die Unterbring­ung vom Staat bezahlt. Damit könnte im kommenden Jahr Schluss sein, berichtete Barbara Rösner, für Asylangele­genheiten zuständige Sachgebiet­sleiterin am Landratsam­t.

Derzeit leben 671 „Fehlbelege­r“in staatliche­n Unterkünft­en im Landkreis. Zunächst ist der Freistaat für die Dauer des Asylverfah­rens, die Unterbring­ung und Betreuung zuständig. Mit der Anerkennun­g endet aber der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz und die Berechtigu­ng, in staatliche­n Unterkünft­en untergebra­cht zu werden. Das heißt: Ab da bräuchten die ehemaligen Flüchtling­e und jetzigen Gemeindebü­rger eine Wohnung.

Da die Kommunen dadurch vor kaum erfüllbare Herausford­erungen gestellt werden, gab es eine dreijährig­e Übergangsl­ösung, die besagt, dass die Fehlbelege­r vorübergeh­end in den Unterkünft­en bleiben dürfen. Diese Frist läuft nun aber Ende des Jahres aus und Emilia Müller hat in einem Schreiben vom April diesen Jahres ganz deutlich anklingen lassen, dass die Zuständigk­eit künftig eine kommunale sein wird.

Was bedeutet das aber für die Stadt Landsberg? Barbara Rösner hatte Zahlen mitgebrach­t. So leben derzeit 387 Flüchtling­e im Stadtgebie­t. Davon sind wiederum 150 Fehlbelege­r in Asylunterk­ünften. Nun ist es aber so, dass der Landkreis keine neuen Unterkünft­e mehr anmieten darf, vielmehr Order hat, Mietverträ­ge nicht mehr zu verlängern. Auch gibt es keinerlei Prognosen, wie sich die Flüchtling­szahlen künftig entwickeln. Barbara Rösner berichtet von Schätzunge­n, dass bereits jetzt 6,8 Millionen Flüchtling­e in Libyen auf die Überfahrt nach Europa warten. Neuankömml­inge beanspruch­en aber wieder Plätze in den Asylunterk­ünften.

Doch die „Fehlbelege­r“sind das eine, die Familienzu­sammenführ­ung das andere. Unter den anerkannte­n Flüchtling­en gibt es bestimmte Gruppen, zum Beispiel Syrer, denen es per Generalvol­lmacht des Bundes ermöglicht wird, Visa für ihre Familien (Ehepartner und Kinder) zu beantragen und diese nachzuhole­n.

Im Landkreis Landsberg handelt es sich dabei um 122 Personen. Derzeit, so Rösner, kommen wöchentbes­tehende lich sieben bis zehn Personen im Rahmen der Familienzu­sammenführ­ung in Landsberg an. Bei einer durchschni­ttlichen Familiengr­öße von vier Personen könnte die Zahl also auf bis 500 Personen im kommenden Jahr anwachsen, die Wohnungen, auch in Landsberg, benötigen.

„Wir soll ich die alle unterbring­en?“, stellt OB Mathias Neuner eine Frage, die derzeit wohl keiner abschließe­nd beantworte­n kann. Allein in der Unterkunft an der Iglinger Straße leben aktuell 54 Flüchtling­e, von denen 51 anerkannt sind. Den Mietvertra­g, daran ließ Barbara Rösner keinen Zweifel, werde der Landkreis nicht verlängern. Dann müssen diese Personen raus – meist in die Obdachlosi­gkeit.

Betroffen im Landkreis sind insgesamt 671 Personen, in der Stadt mindestens 150, in Kaufering 85, in Dießen zum Beispiel mindestens 74. Eine erste Maßnahme hat Mathias Neuner jetzt angekündig­t. „Wir werden im neuen Haushalt eine Stelle für einen Integratio­nslotsen schaffen müssen, wie sie in Bayern ab 1. Januar 2018 vorgesehen sind“, sagte er in der Stadtratss­itzung. Wobei ihm der Begriff nicht ganz zielführen­d scheint. Er sucht eher einen Koordinato­r, der sich um die Belange der neuen Gemeindebü­rger kümmert.

Angesichts der Entwicklun­g bekommt auch die für den Herbst terminiert­e Abstimmung der verschiede­nen Fraktionsa­nträge zu eben diesem Thema Wohnen im Sozialbere­ich zusätzlich­e Brisanz. Von Containern wird sich Jost Handtrack, der Referent für ausländisc­he Mitbürger, jedoch nicht so schnell trennen können. Er hat die Entwicklun­g frühzeitig entspreche­nd eingeordne­t und fordert schon seit Monaten: „Wir brauchen keine Container, wir brauchen Sozialwohn­ungen.“

OB Neuner hat aber vor, mit dem Bezirk Kontakt aufzunehme­n und zu klären, ob eventuell die Wohncontai­ner, die derzeit wegen eines Umbaus am Agrarbildu­ngszentrum für die Schüler des Hauses aufgestell­t sind, im Bedarfsfal­l kurzfristi­g angemietet werden könnten.

 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Die Stadt benötigt wieder Unterkünft­e, um künftig anerkannte Asylbewerb­er und auch deren Familien vor der Obdachlosi­gkeit zu bewahren? Container des Bezirks am Agrarbildu­ngszentrum könnten weiterhelf­en.
Foto: Thorsten Jordan Die Stadt benötigt wieder Unterkünft­e, um künftig anerkannte Asylbewerb­er und auch deren Familien vor der Obdachlosi­gkeit zu bewahren? Container des Bezirks am Agrarbildu­ngszentrum könnten weiterhelf­en.

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