Auch Steinmeier attackiert Erdogans Politik Türkische Innenpolitik ist in Deutschland fehl am Platz
Der Bundespräsident greift zu außergewöhnlich klaren Worten und wirft seinem Kollgen vor, die Opposition „mundtot“zu machen. Außenminister Gabriel wirbt unterdessen um die Sympathien der Türken in Deutschland Die Bundesregierung hat Ankara zu lange zu vie
Im Streit zwischen Berlin und Ankara hat Bundespräsident FrankWalter Steinmeier den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan ungewöhnlich hart kritisiert. Zugleich stellte er sich hinter den schärferen Türkei-Kurs der Bundesregierung. Die letzten Reste an Kritik und Opposition in der Türkei „werden jetzt verfolgt, werden ins Gefängnis gesteckt, werden mundtot gemacht“, sagte Steinmeier im
„Das können wir nicht hinnehmen.“CSUChef
ZDF-Sommerinterview.
Während sich die Bundeskanzlerin von Erdogan auf der Nase herumtanzen lässt, redet die unerschrockene SPD endlich Klartext mit dem unverschämten Sultan. Mit dieser Heldengeschichte versuchen die Sozialdemokraten, Schwung in ihren lahmenden Wahlkampf zu bringen. Außenminister Sigmar Gabriel, der in Umfragen abgeschlagene Kanzlerkandidat Martin Schulz und der bislang blasse Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geben die drei roten Musketiere, die es mit dem Schurken vom Bosporus aufnehmen. Und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter für ihren Mut.
Verschärfte Reisehinweise, Überprüfung von Finanzhilfen – es ist richtig, mit den Mitteln der Außenpolitik auf die Provokatio- aus Ankara zu reagieren. Doch das allein greift zu kurz. Weil in Deutschland rund drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben, ist Türkei-Politik stets auch Innenpolitik. Und innenpolitisch kann Deutschland angesichts des Türkei-Schlamassels ebenso wenig einfach weitermachen wie bisher.
Von Anfang an wies die Bundesrepublik von sich, ein Einwanderungsland zu sein. Sie tat so, als würden die in der Türkei angeworbenen „Gastarbeiter“, die das Wirtschaftswunder mit ermöglichten, nach ein paar Jahren wieder gehen. Und ließ deshalb gerne zu, dass diese bis heute von aus Ankara entsandten Imamen religiös geleitet, von heimischen Medien informiert und leider auch vom türkischen Geheimdienst fast lückenlos überwacht werden. Bei all dieser Einflussnahme geht es um Macht – die Deutschtürken können mit ihren Stimmen Wahlen in der Heimat entscheiden. Präsident Erdogan spielt sich als Beschützer der Türken in Deutschland auf, die seiner Meinung nach nicht den Respekt bekommen, den sie sich wünschen. Mit deren Unterstützung konnte er in einem Referendum seine Machtfülle auf ein autokratisches Maß aufblähen.
Dabei hat Deutschland sogar eine Doppelpass-Regelung eingeführt, die Deutschtürken alle Vorteile der deutschen Staatsbürgerschaft einräumt und trotzdem zulässt, dass sie in der Türkei wählen können. Auch Wahlkampfauftritte prominenter türkischer Politiker vor zehntausenden Deutschtürken wurden in der Vergangenheit geduldet, obwohl dabei mitunter jede Integration in die deutsche Gesellschaft verdammt wurde. Keiner hatte etwas dagegen, weil die Türkei ja als eng befreundeter Staat galt, als wichtiger NatoPartner, Brücke nach Asien, aufnen strebende Wirtschaftsmacht, künftiges EU-Mitglied und eines der wenigen Beispiele für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie. Und zuletzt konnte Erdogan Deutschland mit der Drohung, das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen, ungeniert auf der Nase herumtanzen.
Richtig war es noch nie, der Türkei dieses unglaubliche Maß an Einmischung zuzugestehen. Doch seit die ist eine große Mehrheit der Bürger in Deutschland mit der Türkei-Politik der Bundesregierung unzufrieden. 76 Prozent der Befragten sagten, dass sich die Berliner Regierung von Präsident Erdogan zu viel gefallen lasse. Nur 12 Prozent sahen das nicht so.
CSU-Chef Seehofer verlangte am Samstag bei einer Parteiveranstaltung, die EU solle bis 2020 vorgesehene Zahlungen von gut vier Milliarden Euro an die Türkei als EUBeitrittskandidat stoppen. Ob der Türkei diese Hilfen gestrichen werden können, ist laut
aber fraglich. Im laufenden Programm IPA II gebe es eine frühere Klausel nicht mehr, dass die Wahrung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze eine Voraussetzung für die Hilfen sei. Nach einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sei daher „eine Suspendierung der Hilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert“.
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte vor einem Alleingang. Der schärfere Kurs sei richtig. „Es sollte aber europäische Lösungen geben“, sagte Fratzscher der
Bild am Sonntag Zeitung
Ankara verbittet sich Einmischung aus Berlin
Süddeutscher
die Türkei unter Erdogan in Richtung Diktatur schlittert, zeigt sich dramatisch, wie gefährlich diese Politik war und ist. Jetzt spitzeln, predigen und werben all die türkischen Gewährsleute plötzlich für einen Despoten. Viele in Deutschland lebende Türken fühlen sich eingeschüchtert und verfolgt von türkischen Spionen und Islamverbänden.
Deutschland muss diese Menschen schützen, darf dabei aber keine türkischen Konflikte importieren und sich nicht der Illusion hingeben, dass alle Erdogan-Gegner automatisch lupenreine Demokraten sind. Gegenüber der undurchsichtigen Gülen-Sekte oder bestimmten Kurdenorganisationen etwa ist höchste Vorsicht geboten. Die Verhältnisse in der Türkei sind so explosiv und kompliziert, dass künftig eine ganz einfache Devise gelten muss: Türkische Innenpolitik hat in Deutschland nichts verloren.