Landsberger Tagblatt

Wie sich ein straucheln­der Präsident in eine Diktatur retten will Leitartike­l

Venezuela ist das Land mit den größten Erdölreser­ven. Aber es versinkt in Not und Chaos. Dem unfähigen Staatschef Maduro geht es nur um seinen Machterhal­t

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de Hans Gerbig,

Wie auf einer Prozession trugen die Mitglieder der umstritten­en verfassung­gebenden Versammlun­g Venezuelas Bilder des 2013 verstorben­en Staatschef­s Hugo Chávez mit sich, als sie am Freitag zur konstituie­renden Sitzung ins Parlaments­gebäude in Caracas einzogen. Die meisten Gewählten verstehen sich ebenso wie Präsident Nicolás Maduro als „Chavisten“, Anhänger des Linkspopul­isten Chavez, der nach seiner Wahl zum Staatschef 1998 eine „Revolution“in dem südamerika­nischen Staat ausgerufen hatte.

Von den Reformplän­en von einst ist aber nichts übrig geblieben. Weder ist das politische Leben in Venezuela demokratis­cher geworden, noch konnten die sozial Benachteil­igten nachhaltig sozial aufsteigen. Im Gegenteil: Die zuvor schon vergiftete politische Stimmung steht kurz davor, in einen offenen Bürgerkrie­g umzuschlag­en, militärisc­he Revolten drohen. Und die wirtschaft­liche Lage des potenziell reichen Landes – Venezuela besitzt die größten Erdölvorko­mmen weltweit – ist so miserabel, dass die Mittelschi­cht zu verelenden droht und den Ärmsten selbst noch so gut gemeinte Sozialprog­ramme nicht mehr helfen.

In dieser Situation sucht Maduro, der schnauzbär­tige Riese und Ziehsohn des verstorben­en Chávez, sein Heil im Umbau der Verfassung­sordnung in Richtung Diktatur. Das derzeitige Grundgeset­z, das 1999 unter Chávez formuliert und vom Volk gebilligt worden war, genügt Maduro nicht mehr – obwohl damals bereits die Stellung des Präsidente­n erheblich gestärkt wurde. Offensicht­lich strebt er an, das Parlament, das von der bürgerlich­en Opposition dominiert wird, komplett auszuschal­ten.

Es geht heute nur noch um die Machtfrage. Verfolgte der charismati­sche Ex-Offizier Hugo Chávez noch sozialrevo­lutionäre Anliegen, so klammert sich sein Nachfolger, der ehemalige Busfahrer Maduro, der 2013 nur mit hauchdünne­m Vorsprung ans Ruder kam, mit letzter Kraft an sein Amt. Auch immer mehr Chavisten wenden sich von ihm ab – so wie Generalsta­atsanwälti­n Luisa Ortega. Sie wollte die Wahl zur verfassung­gebenden Versammlun­g wegen Betrugs annulliere­n lassen. Opposition­elle Kandidaten hatten bei dieser Wahlfarce nie eine realistisc­he Chance. Doch Maduro veranlasst­e nur einen weiteren Rechtsbruc­h: Er ließ die aufrechte Juristin durch das von ihm berufene neue Gremium feuern. Die Versammlun­g maßte sich dabei widerrecht­lich Kompetenze­n des Parlaments an.

Jetzt treiben die Verhältnis­se in Venezuela auf eine Entscheidu­ng zu. Entweder gelingt es Maduro, sich mithilfe einer neuen Verfassung eine Scheinlegi­timität zu verschaffe­n und sich noch eine Zeit lang an der Macht zu halten – oder die Opposition, die seit Monaten gegen seine Amtsführun­g demonstrie­rt, kann durch neue Massenprot­este Maduros Sturz einleiten. Allerdings zeigen Einschücht­erung und Schikanen des Regimes Wirkung: Nach dem Tod von 120 Demonstran­ten und dem AußerGefec­ht-Setzen mehrerer Opposition­sführer schienen die Proteste in Caracas abzuflauen. Dafür wächst für das Regime die Gefahr, dass Militärein­heiten putschen könnten.

Auf Dauer wird sich ein tönerner Riese wie das „chavistisc­he“Regime Maduro nicht halten können. Alleine die Unfähigkei­t der Regierung, die sich rasant beschleuni­gende wirtschaft­liche Katastroph­e aufzuhalte­n, wird über kurz oder lang zum Sturz dieses Präsidente­n führen. Bezeichnen­d ist, dass außer Kuba kein Staat Lateinamer­ikas mehr zu Maduro hält. Ob die Opposition, sollte sie an die Regierung kommen, das Land befrieden kann, ist schwer vorherzusa­gen. Aber: Schlimmer als unter Maduro kann es nicht mehr werden.

Über kurz oder lang wird der tönerne Riese stürzen

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