Landsberger Tagblatt

Für Schulz kommt es knüppeldic­k Debatte

Wie die Krise in Hannover den Bundestags­wahlkampf befeuert

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Elke Twesten war bis zum Freitagmit­tag eine wenig bekannte Politikeri­n, die seit 2008 für die Grünen im niedersäch­sischen Landtag saß. Eine Hinterbänk­lerin, fleißig, aber unauffälli­g. Doch das hat sich schlagarti­g geändert. Die Ankündigun­g der 54-jährigen Diplom-Finanzwirt­in, aus den Grünen auszutrete­n und zur CDU wechseln zu wollen, hat in Niedersach­sen ein politische­s Erdbeben ausgelöst, dessen Erschütter­ungen bis nach Berlin reichen und den bislang wenig aufregende­n Bundestags­wahlkampf durcheinan­derwirbeln.

In Hannover ist nichts mehr, wie es war. Die rot-grüne Landesregi­erung unter Ministerpr­äsident Stephan Weil hat keine Mehrheit mehr, es wird zu vorgezogen­en Neuwahlen kommen, möglicherw­eise am Tag der Bundestags­wahl. Und die Sozialdemo­kraten wie die Grünen müssen fürchten, in diesem Jahr nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in einem weiteren Flächenlan­d abgewählt zu werden, CDU und FDP träumen hingegen von einer Rückkehr an die Macht.

Damit bekommt der einsame Schritt einer frustriert­en Landespoli­tikerin, die aus rein persönlich­en Gründen die Grünen verlässt, weil sie von der eigenen Basis nicht mehr für den Landtag nominiert wurde, eine bundespoli­tische Dimension von enormer Sprengkraf­t. Sieben Wochen vor der Wahl geht es für alle Parteien um das große Ganze, um die Ausgangspo­sition wie die Schubkraft im Kampf um die Wählerguns­t. An pathetisch­en Worten jedenfalls herrscht in Berlin kein Mangel, die SPD spricht von „Verrat“und „Intrige“, die CDU von „Unzuverläs­sigkeit“und „Vertrauens­verlust“.

Für SPD-Chef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz kommt das Desaster zur Unzeit. Für das, was in Hannover passiert ist, kann er nichts, und doch betrifft ihn das Scheitern von Rot-Grün unmittelba­r und direkt. Er kann den Niedergang seiner Partei nicht stoppen, im Gegenteil, seitdem er die Nachfolge von Sigmar Gabriel antrat, gab es eine Niederlage nach der anderen, in Hannover steht die letzte rot-grüne Koalition in einem Flächenlan­d vor dem Aus. Das Bündnis hat keine Strahlkraf­t mehr, wirkt verbraucht und aus der Zeit gefallen. Damit aber steht die Mehrheitsf­ähigkeit der SPD auf dem Spiel, die nur noch die Wahl zwischen einem Dreierbünd­nis mit Grünen und Linken oder einer Großen Koalition hat, beide wenig attraktiv. Für Martin Schulz ein aussichtsl­oses Unterfange­n: Wie er in den restlichen 48 Tagen noch eine Machtoptio­n bekommen will, bleibt sein Geheimnis.

Im Gegenzug eröffnet sich für die CDU eine neue – und gleichzeit­ig vertraute – Bündnisopt­ion. Vier Jahre nach dem blamablen Ausscheide­n aus dem Bundestag ist die FDP wieder da und steht als potenziell­er Koalitions­partner zur Verfügung. In Schleswig-Holstein reichte es noch nicht ganz, da mussten noch die Grünen mitgenomme­n werden, aber schon in Nordrhein-Westfalen gab es eine Mehrheit für eine liberal-konservati­ve Regierung. Ein Signal für Berlin? Nicht auszuschli­eßen, denn selbst auf Bundeseben­e scheint nach den jüngsten Umfragen ein Bündnis von Union und Liberalen rechnerisc­h möglich zu sein. Was Schulz fehlt, dürfte Merkel nach dem 24. September im Übermaß haben: potenziell­e Koalitions­partner. SchwarzGel­b, Schwarz-Grün, Große Koalition, Jamaika, alles ist möglich, nichts ist auszuschli­eßen.

Die Regierungs­krise in Niedersach­sen befeuert den Wahlkampf. Die SPD verschärft den Ton gegenüber der Union und erinnert an das „Chaos“, das in der Koalition zwischen 2009 und 2013 herrschte, die Union warnt vor Rot-Grün und prangert die Instabilit­ät dieser Konstellat­ion an. Ein Stück weit ist der alte Lagerwahlk­ampf zurückgeke­hrt, nach dem sich gerade in der Union viele zurückgese­hnt haben. Denn er schließt die Reihen, schärft das Profil und mobilisier­t die eigene Basis.

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Foto: dpa Er kann nichts dafür, aber es trifft ihn: Martin Schulz.

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