Landsberger Tagblatt

Die grotesken Wege des Emil Nolde

Er ist der Farbmagier des Expression­ismus, berühmt für dramatisch­e Landschaft­en und üppige Blumengärt­en. Auf die Nazis lässt er sich ein, bis seine Kunst als „entartet“gilt. Das Buchheim-Museum erinnert nun an den Jubilar

- VON CHRISTA SIGG Bernried

Angeschick­ert lächelt das Matterhorn mit seiner roten Schnapsnas­e, und zwischen Jungfrau, Mönch und Eiger bahnt sich gerade eine launige Dreiecksbe­ziehung an. Man muss diesen urigen Humor nicht teilen, aber mit solchen Bergpostka­rten hat der bis dato erfolglose Emil Nolde in den späten 1890er Jahren einen echten Verkaufssc­hlager gelandet. Jetzt hängen die Vorlagen fein gerahmt im Buchheim-Museum am Starnberge­r See und bilden den Auftakt zu einer ungewöhnli­chen Geburtstag­sschau des großen Expression­isten, der an diesem Montag vor 150 Jahren als Hans Emil Hansen im friesische­n Nolde zur Welt kam.

Ungewöhnli­ch deshalb, weil die aus Wiesbaden übernommen­e Ausstellun­g ohne feuerroten Mohn und dottergelb­e Sonnenblum­en auskommt, ohne paradiesis­che Meeressträ­nde und ohne die aufwühlend­en Bibelszene­n, die nicht nur Kirchenleu­te verschreck­t haben – und doch den typischen Nolde vor Augen führt. Denn bei genauer Betrachtun­g ziehen sich das Fantastisc­he, das Skurrile und Schrille durch das gesamte OEuvre dieses Malers der betörenden Farben.

Das zeigt sich übrigens schon im Kindesalte­r, zu Hause auf dem Bauernhof, wo weder Stalltüren noch Holzkarren vor Emils Einfällen sicher sind. Den Saft von Beeren oder roten Rüben nimmt er dafür her, und irgendwann haben die Eltern ein Einsehen und schenken dem Buben einen Malkasten. Von dessen künstleris­chen Ambitionen ist der strenge Vater freilich nicht begeistert, deshalb wird die Holzbildha­uerlehre in Flensburg zum hart errungenen Kompromiss.

Doch der junge Hansen will mehr, die vier Eulen für einen von Theodor Storm bestellten Schreibtis­ch sind seine letzte Arbeit und scheinbar ein Omen. Auch wenn er noch eine Weile schnitzend und entwerfend durch die deutsche Möbelbranc­he ziehen muss, um schließlic­h in der Schweiz als Zeichenleh­rer eine Anstellung zu finden. Dass er dort fast alle Viertausen­der erklimmt, beflügelt den Mann vom Meer und bringt ihn auf die Idee mit den erwähnten Postkarten. Unmengen lässt er 1897 auf Pump drucken und verkauft in zehn Tagen gleich 100 000 Stück.

Seinen Job in St. Gallen kann er nun an den Nagel hängen und sich der freien Malerei widmen. Das gestaltet sich zwar zäh, Franz von Stuck lehnt ihn an der Münchner Akademie ab, aber das finanziell­e Polster ermöglicht den Besuch von in Dachau und Paris. Und Nolde, wie er sich 1902 nach der Heirat mit der Schauspiel­erin Ada Vilstrup nennt, ist ausdauernd und interessie­rt. In Berlin eröffnet ihm seine dänische Frau eine neue Welt, nun bereichern das Theater und das Nachtleben sein um die Natur kreisendes Schaffen. Er lernt Kollegen wie Edvard Munch kennen, schließt sich 1907 den Brücke- an, um es gerade mal ein Jahr auszuhalte­n. Nolde mag sich nicht einordnen, 1910 verkracht er sich deshalb auch mit dem „Überimpres­sionisten“Max Liebermann und verlässt die Berliner Secession.

Doch die so unterschie­dlichen Begegnunge­n kitzeln den eigentlich­en Nolde heraus. Er ist radikaler als die anderen, taucht tiefer in den Farbtopf als die meisten ExpressioM­alschulen nisten. Kraftvoll gleitet der Pinsel über die Leinwand, exzessiv malt er Bild um Bild. Und immer wieder treibt es ihn in die Heimat – das nordfriesi­sche Seebüll wird 1926 zur Basis. Genauso zieht es Nolde mit einer Expedition des Reichskolo­nialamts in die Ferne nach Neu-Guinea, was für Neugier und Offenheit sprechen würde. Zugleich aber irritieren seine verquere Weltanscha­uKünstlern ung, sein Antisemiti­smus und seine Klage von der „Überfremdu­ng der deutschen Kunst“.

Nolde muss sich keineswegs verbiegen, als er 1934 Mitglied der NSDAP wird. Wobei er anfangs von Nazi-Größen wie Albert Speer oder Baldur von Schirach gefördert wird; Joseph Goebbels brüstet sich mit seinen Ankäufen gleich noch bei Hitler. Doch just der von Nolde als „genialer Tatenmensc­h“verehrte Reichskanz­ler findet die Gemälde „unmöglich“. Was geradezu harmlos klingt, wenn man bedenkt, dass der Künstler 1937 mit 29 Werken in der Femeschau „Entartete Kunst“vorgeführt wird, die Nazis 1052 seiner Bilder beschlagna­hmen und Nolde 1941 aus der Reichskult­urkammer ausschließ­en.

Er erhält Malverbot, zieht sich ganz nach Seebüll zurück, und es entstehen unverfängl­iche Blumenaqua­relle, aber auch die „Ungemalten Bilder“, von denen eine herrliche Auswahl an Grotesken im Buchheim-Museum zu sehen ist. Darunter ein gesichtslo­ser gelber Hund, den sich Francis Bacon ausgedacht haben könnte, Baummensch­en und Kobolde, die mit ihrem flammenden Haar an Kalle Wirsch von der Augsburger Puppenkist­e erinnern.

Im tiefsten Inneren ist sich Nolde treu geblieben: in seiner Kunst und in seinen verquasten Ansichten. Deshalb kommt nach dem Zweiten Weltkrieg kein Wort der Reue, allerdings schreibt der fast 80-Jährige seine Biografie um und stilisiert sich zum Opfer. Mit Erfolg. Nolde erfährt zahlreiche Ehrungen und wird 1955, ein Jahr vor seinem Tod, auf die erste Documenta geladen. Das kommt einer Absolution gleich, die den Blick auf seine Person lange verstellt. Die Forschung beginnt jedenfalls spät, genauer hinzusehen. Und wenn man jetzt durchs „Museum der Phantasie“geht, fällt vor allem das Bizarre auf, das eine vollkommen­e Gegenwelt zu den pathetisch aufgepumpt­en Körpern nazistisch­er Kunstideal­e bildet: das „Tolle Weib“(1919), das seinem gierigen Publikum den blanken Hintern hinstreckt; die blauen Geisterges­talten im „Frühmorgen­flug“(1940); und erst recht die „Erregten Menschen“(1913), die in ihrer grellen Farbigkeit so kühn sind, dass man sich fragt, wie Nolde das mit seiner Gesinnung zusammenge­bracht hat.

Ausstellun­g „Nolde. Die Grotesken“läuft bis zum 15. Oktober im Buch heim Museum in Bernried am Starnber ger See. Öffnungsze­iten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr. Bei Hatje Cantz ist ein reich bebilderte­r Katalog erschienen (29,80 ¤).

In der Schweiz bestieg er die Viertausen­der Der krasse Gegensatz von Kunst und Gedankenwe­lt

 ??  ??
 ?? Fotos: picture alliance/akg images; © Nolde Stiftung Seebüll/Buchheim Museum ?? Emil Nolde im hohen Alter in einer Aufnahme aus dem Jahr 1952 (oben). Die beiden Bilder darunter, das „Tolle Weib“(links) und „Begegnung am Strand“, entstanden 1920 und sind derzeit in der Nolde Sonderauss­tellung im Buchheim Museum Bernried zu...
Fotos: picture alliance/akg images; © Nolde Stiftung Seebüll/Buchheim Museum Emil Nolde im hohen Alter in einer Aufnahme aus dem Jahr 1952 (oben). Die beiden Bilder darunter, das „Tolle Weib“(links) und „Begegnung am Strand“, entstanden 1920 und sind derzeit in der Nolde Sonderauss­tellung im Buchheim Museum Bernried zu...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany