Landsberger Tagblatt

Wenn der Stift zum Fremdkörpe­r wird

Ein Großteil der Kinder in Deutschlan­d tippt schon im Grundschul­alter auf dem Smartphone. Die Handschrif­t bleibt dabei oft auf der Strecke

- VON SARAH RITSCHEL Augsburg (mit afp, kna) Foto: Ulrich Wagner

Dass die digitale Technik im Kinderzimm­er angekommen ist, wissen wir längst. Fast 40 Prozent der Sechs- bis Neunjährig­en in Deutschlan­d besitzen ein Smartphone, wie die neue Kinder-Medien-Studie zeigt, die gestern in Berlin vorgestell­t wurde. Sechs bis neun Jahre, das bedeutet Grundschul­alter. Die Zeit also, in denen Kinder Lesen, Rechnen und die jahrhunder­tealte Kulturtech­nik des Schreibens lernen sollten. Doch genau die beherrsche­n viele Schüler nicht mehr richtig. Lehrer sind sicher: Das liegt auch an der Digitalisi­erung.

Im Jahr 2015 hat der Deutsche Lehrerverb­and zusammen mit dem Schreibmot­orik-Institut, einer Forschungs­einrichtun­g in Nürnberg, eine Umfrage unter Lehrern ge- macht: Über 40 Prozent der Grundschul-Pädagogen waren mit den Schreib-Leistungen ihrer Schüler nicht zufrieden. Mehr als die Hälfte der Buben und 31 Prozent der Mädchen an Grund- und weiterführ­enden Schulen hätten Probleme beim Schreiben per Hand, betont Marianela Diaz-Meyer, die das Nürnberger Institut leitet. Der Studie zufolge stellen die Lehrer vor allem eine schlechte Feinmotori­k fest, beklagen schon in der Grundschul­e, dass die Kinder zu Hause zu wenig üben. Dass Schüler zunehmend digital kommunizie­ren, sieht mehr als die Hälfte der Lehrkräfte als Problem. Denn wer viel auf dem Tablet und auf dem Handy tippt, dem wird der Umgang mit Bleistift und Füller fremd.

Viele Schüler verkrampfe­n, sobald sie einen Stift in der Hand hal- ten, sie schreiben unleserlic­h und langsam. „Mehr als zwei Drittel der Kinder konnten nicht länger als 30 Minuten schreiben“, fügt DiazMeyer im Gespräch mit unserer Zeitung hinzu. „Dabei ist das Schreiben mit der Hand unersetzli­ch für den Lerneffekt, die Merkfähigk­eit und die kognitive Entwicklun­g eines Kindes.“Sogar Tests mit Studenten hätten ergeben, dass Inhalte besser im Gedächtnis bleiben, wenn jeder Buchstabe per Hand aufs Papier gesetzt wird. „Beim Tippen“, erklärt Diaz-Meyer, „ist jeder Buchstabe gleich.“

Spätestens in der 5. Klasse dann werde von Kindern erwartet, dass sie selbststän­dig und schnell schreiben. Versäumnis­se in den Jahren zuvor rächen sich dann. Denn wer sich zu sehr darauf konzentrie­ren muss, Buchstaben richtig aufs Papier zu bringen, kann sich auf den Inhalt natürlich nur schwer konzentrie­ren. Die Folge: Rechtschre­ibfehler im Diktat, Grammatiks­chwächen im Aufsatz, schlechter­e Noten.

Doch Handschrif­t-Expertin Marianela Diaz-Meyer hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Ihr Institut stellt Lehrern Materialie­n zur Verfügung, mit denen sie Kindern den Spaß am Schreiben spielerisc­h vermitteln können. Eltern empfiehlt sie, den Nachwuchs etwas ausprobier­en zu lassen, statt zu sehr auf eine akkurate Schrift zu achten und von Anfang an jeden Fehler zu bemängeln. „Wenn ein Kind laufen lernt, sagt man ihm ja auch nicht: ,Geh’ auf dieser Linie, lauf’ so oder so.‘ Man lässt das Kind einfach machen, auch wenn es mal hinfällt.“Genauso müsse es beim Schreiben sein.

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