Landsberger Tagblatt

Der Schotte im Rockmusik-Geschäft Porträt

Mit Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll hatte Ian Anderson nie etwas am Hut. Seine Bandkolleg­en von Jethro Tull mussten die Rechnungen der Minibar selbst bezahlen

- Richard Mayr Foto: dpa

Die Augen hat er weit aufgerisse­n, seinen Körper balanciert er auf einem Bein. Die Querflöte bläst er nicht nur, nein, er gurrt und grunzt hinein. So hat Ian Anderson das Instrument für die Rockmusik adaptiert. Es ist sein Markenzeic­hen und das seiner Band Jethro Tull. Dazu hat er in den 1970er Jahren mal das Gewand eines mittelalte­rlichen Narren getragen, dann das eines elisabetha­nischen Gauklers, eines englischen Junkers, eines schottisch­en Gutsherren.

Wie die Rock-Musik funktionie­rte, hatte Anderson genau verstanden. Mit einem feinen Gespür hatten er und Jethro Tull sich als das Anti-Rockmusik-Modell präsentier­t. Die Bandmitgli­eder kokettiert­en nicht öffentlich mit Drogen. Stattdesse­n musste jeder Musiker bei den Tourneen die Rechnungen der Hotel-Minibar selbst bezahlen. Musik war für die Briten ein Job, der morgens um acht Uhr begann. So etwas passiert, wenn ein Schotte der Kopf einer solchen Band ist.

Auf der Bühne allerdings legte Anderson alle Nüchternhe­it ab, da gab er den Derwisch, der sich die Querflöte gerne auch mal zwischen die Beine klemmte und mit den Händen ganze imaginäre Orchester mit wildestem Ausdruckst­anz dirigierte, während Martin Lancelot Barre – die zweite Säule der Band – seine E-GitarrenSo­li spielte. Musikalisc­h sind vor allem die 1970er Jahre die produktivs­te Zeit von Ian Anderson und Jethro Tull. Jedes Album klingt anders. Vom rockigen Album „Aqualung“mit dem Tull-Hit „Locomotive Breath“geht es zu den Konzeptalb­en „Thick As A Brick“und „A Passion Play“, die beide nur aus einem Musikstück bestehen und nur dadurch unterbroch­en werden, dass die Schallplat­te einmal umgedreht werden muss. Auf das Album „Too Old to Rock ’n’ Roll: Too Young to Die!“(1976) folgen 40 weitere Jahre Bandgeschi­chte. Wiewohl man sagen muss, dass diese Bandgeschi­chte entschiede­n zu lang fortgeschr­ieben wurde. Wenn es nur die 1970er Jahre für Ian Anderson und „Jethro Tull“gegeben hätte, wäre es nie bergab gegangen. Die Alben der 1980er Jahre waren noch ansehnlich („The Broadsword And The Beast“, „Crest of a Knave“) und „Catfish Rising“1991 kann sich auch mit den starken Alben der 1970er Jahre messen; aber die Jahrzehnte auf der Bühne forderten bei Anderson Tribut. Seine Stimme brach weg. Die hohen Töne konnte Anderson nur noch markieren, indem er sich vorne auf der Bühne auf die Zehenspitz­en hinaufscho­b. Das tat und tut weh.

Jenseits des Lebens im Showgeschä­ft ist Anderson ein Mann erstaunlic­her Nüchternhe­it, der sein Geld in Lachsfarme­n angelegt hatte und Rock-Magazinen erklärte, dass er in seiner Freizeit nicht Musik höre, sondern lieber Filme schaue. Noch immer gibt Anderson Konzerte. Nach seinem 70. Geburtstag am heutigen Donnerstag will er mit einem Jethro-Tull-Programm durch die USA touren.

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