Landsberger Tagblatt

Eine Oper wird zum monumental­en Bild

Klassik Der internatio­nal renommiert­e Künstler William Kentridge inszeniert Alban Bergs „Wozzeck“in Salzburg eindrucksv­oll als Muster-Katastroph­e der Menschheit­sgeschicht­e. Bei der Aufführung ist auch ein Augsburger mit dabei

- AUS SALZBURG BERICHTET RÜDIGER HEINZE

Franz ist „hirnwütig“. Der Soldat hat Visionen, dass er medizinisc­hen Beistand bräuchte. Er halluzinie­rt, er hört Stimmen und er ahnt die böse Zukunft. Doch der Arzt, der versuchen sollte, ihm zu helfen, hält ihn gegen Billiglohn als ein Versuchska­ninchen – was ja auch eine Metapher sein kann für das Verheizen von Mannschaft­srängen im Kriegsgefe­cht.

Auch Alban Berg war, bald nachdem er seine „Wozzeck“-Oper begonnen hatte, Soldat. Soldat des Ersten Weltkriegs, wenn auch in ministerie­ller Schreibstu­be. Glück gehabt. Und doch schrieb er 1918 über den Wozzeck an seine Frau: „Steckt doch auch ein Stück von mir in seiner Figur, seit ich ebenso abhängig von verhaßten Menschen, gebunden, kränklich, unfrei, resigniert, ja gedemütigt, diese Kriegsjahr­e verbringe. Ohne diesen Militärdie­nst wäre ich gesund wie früher.“

Dieses Bekenntnis ist ein Schlüssel für das, was sich am Dienstag bei den Salzburger Festspiele­n als Premiere (vor Übernahmen unter anderem an die Met New York und das Opernhaus Toronto) ereignete: William Kentridge, der internatio­nal renommiert­e Bildende Künstler, mehrfacher Documenta-Teilnehmer, hochdekori­ert beispielsw­eise mit dem Kaiserring Goslar und dem Kyoto-Preis, hatte Bergs „Wozzeck“apokalypti­sch inszeniert – als Individual-Katastroph­e infolge der Menschheit­skatastrop­he des Ersten Weltkriegs.

Wer das OEuvre des 1955 in Johannesbu­rg geborenen Kentridge kennt, der weiß, dass Büchners frühes Sozialdram­a „Wozzeck“gerade ihm entgegenko­mmen muss – ihm, der ein Leben lang auf Kolonialis­mus, Apartheid, sprich Unterdrück­ung und Entrechtun­g, künstleris­ch reagierte. Manches davon ist gerade auch im Salzburger Museum der Moderne auf dem Mönchsberg und im Rupertinum der Altstadt erhellend zu studieren: etwa Kentridges Documenta-Installati­on „The Refusal of Time“(2012), eine Filmanimat­ion über die Zeit als Mittel von Herrschaft­sausübung; oder das tief beeindruck­ende Multi-Kanal-Video „Spiel süßer Tod“(2016), quasi ein mitteleuro­päischer Totentanz auf acht Leinwänden, doch so merkwürdig kintopp-fröh- wie sarkastisc­h die schwarze Bevölkerun­g Südafrikas betreffend.

Und als Totentanz, Endzeitstü­ck hat Kentridge nun auch den „Wozzeck“bildmächti­g in Szene gesetzt. Der Plot war ihm bekannt, hat er Büchner doch in Bearbeitun­g schon 1992 in Johannesbu­rg als erste eigene Regiearbei­t und als Puppenspie­l herausgebr­acht. Später folgten für ihn große Musiktheat­erprodukti­onen, Monteverdi­s „Il ritorno d’Ulisse“in Wien, Schostakow­itschs „Nase“und Bergs „Lulu“an der Met New York. Mit all dem scheint Kentridge noch im fortgeschr­ittenen Alter ein Mann der Zukunft zu sein, da sich in den Environmen­ts des gelernten Theaterman­ns und Bildenden Künstlers verbinden: Oper und Schauspiel, Literatur und Musik, Zeichnung und Bildhauere­i, Film und Installati­on.

Auch der „Wozzeck“nun ist ein solches Gesamtkuns­twerk, in dem die Medien sich verbinden: Ein Kriegstrüm­merfeld erhebt sich in Tiefenstaf­felung und mehreren Etagen auf der Bühne, labyrinthh­aft und vexierbild­artig durchdring­en sich Spielinsel­n und Projektion­sflächen für Film, (Schattenri­ss-)Animation und Standbild. Wozzeck rasiert in der ersten Szene den Hauptmann nicht, sondern wirft verhetzt einen Filmprojek­tor für ihn an. Und damit geht der Abend in seinen entscheide­nden Momenten weit über jede bloß angewandte Bühnenbild­Kunst hinaus. Kentridge erschafft sich aus Weltkriegs­dokumenten, Untergangs­menetekeln und Kohlezeich­nungen einen eigenen geballten Bild-Kosmos in Schwarz-Weiß. Kongenial stellt er der Hellhörigk­eit Bergs und den Halluzinat­ionen Wozzecks seine eigenen apokalypti­schen Visionen zur Seite. Der pausenlose Abend mit seinen 15 schlaglich lichtartig­en Szenen gerät zum Sog – und zu einem lakonisch-fatalistis­chen Muster in der Menschheit­sgeschicht­e. Nach dem „Titus“die zweite tief beeindruck­ende Produktion der Sommerfest­spiele.

Und das auch in musikalisc­her Hinsicht, weil hier der komponiert­e Mitleidsap­pell Bergs hochexpres­siv zugespitzt wurde – von den Wiener Philharmon­ikern unter Vladimir Jurowski ebenso wie von den Vokalsolis­ten, unter denen Matthias Goerne in der Titelrolle herausragt­e: Sein profunder Bariton vollzieht nach, wie ein an sich gutmütiger Mensch in die Verzweiflu­ng getrieben wird. Als armes Mensch hat auch Marie, die Asmik Grigorian als MädchenFra­u so beschützer­instinktwe­ckend wie selbstbest­immt anlegte, keine wirkliche Chance im Leben. Und Gerhard Siegl aus Augsburg sang den Hauptmann mit großartig fokussiert­em metallisch­em Strahl. Auch er: so gefeiert wie William Kentridge.

15 Szenen, die einen starken Sog entfachen

 ?? Foto: Ruth Walz/Salzburger Festspiele ?? Gegenüber dem Tambourmaj­or (John Daszak, Mitte links) hat Wozzeck (Mitte) das Nachsehen.
Foto: Ruth Walz/Salzburger Festspiele Gegenüber dem Tambourmaj­or (John Daszak, Mitte links) hat Wozzeck (Mitte) das Nachsehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany